510 XIY. Die Türkei.
Treppenstiegen in die Felsen gehauen, welche die Weiber sogar mit schweren Lasten
leichtfüßig erklimmen.
Der treffliche Boden des niedrigen Landes bleibt meist brach liegen. Der Landmann
begehrt von der Erde bloß, was zu seinen wenigen Bedürfnissen hinreicht. Und dann
baut der Südslave weit lieber Wein und Öl, oder beniitzt die von selbst wachsenden
Obstwälder von Kirschen, Zwetschgen und Birnen, als daß er Getreide Pflanzt; am mei-
sten wird Mais (Kukurutz) gebaut, auch Hirse; denn seine Hauptkost ist Mamaliga und
Hirsebrei, Zwiebeln, Hülsenfrüchte, Gurken; auch Milch und Käse; dazu der Slibowitza
(Raki), in den Donaugegenden Wein; an Festtagen darf das gebratene Lamm (oder auch
der Schweinebraten) nicht fehlen.
So verschieden die Trachten dieser Völker sind, so tragen doch alle einen, bei
guter Witterung über die Achsel zusammengerollten, meist braunen und verbrämten Man-
tel oder Teppich (Strnkka), der bei Nacht das Kissen gibt, dann Opanken (rohe Bund-
schuhe aus einem Stück Haut), hauptsächlich aber eine Schärpe mit den Waffen; das
Haar vorn geschoren und nur hinten hiuabhäugeud.
Unter allen diesen Südslaven herrscht der Zaubereiglaube und das Bedürfnis der
Amnlete, wie in Dalmatien (S. 274). Gegen Fremde sind sie sehr mißtrauisch; werden
sie aber vertraut, so beweisen sie ungemeine, treuherzige Gastfreundschaft. Da wird dem
Gast zu Ehren noch heute die Nachbarschaft eingeladen nnd die beste Ziege geschlachtet.
Häusig besteht ein ganzes Dorf ans einer einzigen Familie, die sich unter ihrem frei
und feierlich gewählteu Ältefteil (Stareschina), dem Weisesten nnd Erfahrensten, selbst
regiert. Die Südslaven haben nämlich keinen Adel außer dem mohammedanisch gewor-
denen in Bosnien. Alle diese Familienstämme sind heilig und unsterblich; daher muß
jeder augethaue Schimpf gesühnt und gerächt werden — durch Blutrache. — Die Feste
siud alle religiöser Natur; ganz besonders feiern sie Ostern und Weihnachten. Da werden
alle Fehden eingestellt. Hauptsächlich an Ostern werden neue Freundschaften, auch die
Heiraten geschlossen, vornehmlich aber die Brüderschaften — eine merkwürdige
Sitte aller dieser Völker, auch der Griechen. Zwei Freunde (oder auch Freundiuuen),
nach dem Besuche der Grabhügel ihrer Lieben und Gebeten für sie, adoptieren einander
über dem Grabe ihrer Väter unter priesterlicher Einsegnung als Brüder oder Schwestern,
auch als Vater und Sohn, und sind nun von einander unzertrennlich, leben und sterben
für einander. Am nächsten Osterfeste wird der Bund erneuert oder ein neuer geschlossen.
— Auch siudeu au Ostern die großen Nationalversammlungen der freien
Völker statt, bei gewissen Klöstern, und immer unter Teilnahme'der Priester, die vom
ganzen bürgerlichen Leben unzertrennlich sind. Man betet, beratschlagt, tanzt, man be-
singt, was der Südslave nie von einander scheiden kann, seinen Gott und sein Vaterland.
Dadurch haben diese Völker Jahrhunderte lang ihre Nationalität gerettet, indem sie die-
selbe im Heiligtum bargen, und ihre Priester mit aller ihnen gelassenen bürgerlichen Ge-
walt bekleideten.
Städte, Straßen, Industrie gibt es in allen diesen Ländern sehr wenig. Die Städte
sind alle nach der Weise des Altertums eingerichtet: wo möglich in der Mitte der „Grad"
(Gorod, Kreml), die hohe isolierte Festung; umher der V a r o s ch, die Unterstadt mit
den Handwerkern und Kaufläden, meist durch Wall, Graben und Thore geschützt; endlich
die Palanke, um den Varosch, die Wohnschaft der ärmeren Volksklasse, nur mit
Baumstämmen umgeben. Vor der Stadt ein weiter Raum für die Gräber — die Stadt
der Vorfahren. Im Varosch sind auch die Eh au e, leere Herbergen, meist voll Schmutz;
allein häufig wird der Fremde von einem gastfreundlichen Serben in seine Wohnung ge-
holt und vortrefflich bewirtet.
In den Gebirgen dagegen findet man eine Menge Ruinen alter verheerter Orte,
Städte, Klöster, Kirchen, Schlösser?c., und Reste altrömischer gepflasterter Heerstraßen.
Das Fürstentum Bulgarien.
§ 455. Bulgarien im Süden Rumäniens ist die plateauartige Vorstufe des
Balkan, die aus der Tiefebene von den meist hohen und felsigen Südufern der
Donau allmählich aufsteigt zu den dichtbewaldeten und unwegsamen Vorbergen des
Zentralgebirgs und bis zum Kamme selbst, von zahlreichen, der Donau zueilenden