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Ebenso gehören beide Ufer der ungarischen Tiefebene den Magyaren. In
Oesterreich und Bayern dient die Donau nicht einmal als Grenze der ein-
zelnen Provinzen.
g. Poesie der Quellen und Flüsse. Verehrung des fließen-
den Wassers. Die Quellen verleihen der Landschaft geheimnißvolle Reize;
sie schaffen jene stillen, lieblichen Winkel, in die man so gern aus dem ge-
räuschvollen Getriebe der Welt sich zurückzieht, um am leise murmelnden
Bach zu träumen und zu dichten. Wenn in kühler Grotte der keusche Spiegel
sich breitet, oder wenn noch von keinem Strahl getroffen, die klare Fluth
an's Licht tritt, wenn sie glitzernd und murmelnd, rauschend und schäumend
über die Felsen rollt oder unter grünem Laubdach zögernd dahinzieht: immer
ist es ein so schöner als ahnungsvoller Anblick, und auch um das einfachste
Geriesel noch weht jene verjüngende Frische und jenes Geheimniß des Ur-
sprünglichen, in welche Sinn uud Seele sich so gern versenken. Hier finden
wir uns an die Stätten erinnert, von denen einst ein friedlicheres Dasein
ausging. Denn Feuerheerd und Quelle waren wohl überall die altgehei-
ligten Sammelpunkte der menschlichen Gemeinschaft. Hier, an solchem stillen
Orte scheint ja alles wie geschaffen, um den Bedürfnissen des ersten Boden-
bebauers zu genügen. Hier fand er überhangende Bäume, die ihm Schatten
gewährten, einen Hügel, der ihm die rauhen Winde fern hielt, klares Wasser
für seinen Garten, Triften für seine Heerden, Steine für seine Hütte. —
Schon der blasirte Mensch unsrer Städte kann eine Quelle nicht ohne poe-
tische Erregung betrachten. Viel lebhafter aber muß die Empfindung bei
unsern Vorfahren gewesen sein, die noch mitten in der Natur lebten. Daher
verehrten im Alterthum manche Völker die Quellen als Gottheiten. Griechen
und Germanen schrieben einzelnen Quellen höhere Kräfte zu; das lautere,
wunderähnlich aus der Tiefe dringende Element ward ihnen zum Ausdruck
des in's Verborgene schauenden, weissagenden Geistes, und wahrscheinlich in
verwandter Auffassung nannten die Hebräer ihre Felsenbrunnen „Am", d.h.
Augen. Vorzüglich die Griechen beseelten ihre Quellen und wandelten sie in
eine anmuthige Nymphe oder in einen schönen Halbgott. Die eine ist ein
reizender Acis, der den Lavafelsen entflieht, unter denen der Cyklop ihn be-
graben wollte, die andre eine Nymphe Arethnsa, die unter dem Meere fort-
schwimmt, um ihre blauen Gewässer nicht mit den trüben Flutheu eines
Flusses zu vermischen, wieder eine andere eine jungfräuliche Eyane, welche
mit ihren Thränen die Blumen benetzt, die sie gepflückt hat, um Proserpina
damit zu schmücken.
Begreiflich ist die Verehrung, welche die Bewohner tropischer Länder
mit ihrem trockenen Boden und ihrem gluthstrahlenden Himmel den Quelle»
zollen. Am Wüstenrande ist quellendes Wasser selten, und man empfindet
um so mehr seinen Werth. Die dürftige Quelle, welche aus einer Felsen-
spalte hervorbricht, nährt ja die zur Erhaltung des ganzen Stammes nö-
thigen Kräuter und Früchte. Sollte die Quelle versiegen, so müßte die ganze
Bevölkerung auswandern, wenn sie nicht Hungers sterben wollte. Darum
hat auch der Oasenbewohner einen wahren Cultus für das wohlthätige
Wasser, dem er fein Leben dankt.
Das fließende Wasser ist hauptsächlich auch von den Hindu als etwas
Göttliches betrachtet worden. In großartiger Hochgebirgseinsamkeit, wo
Ganges und Dschamna aus Gletschern hervorbrechen, oder auch im Flach-
lande über dem Weiher mit der Narbada - Quelle stehen Heiligthümer uud
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