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eigenen Pflichtbewußtsein nahm, um so eher mußte es sich bei den einzelnen
Gliedern wieder einfinden. Dann erst konnte wieder moralische Gesundung,
sittliche Würde in die Herzen der Menschheit ziehen, dann mochte mich wieder
äußerer Wohlstand gewonnen werden.
So wird man es wohl eine gnädige Fügung nennen dürfen, daß Branden¬
burg jetzt einen Fürsten zum Herrn erhielt, dem die Erfüllung der Pflicht zu¬
gleich das tiefste Bedürfnis des Herzens wie die strenge Forderung des Ver¬
standes war. Wie Friedrich Wilhelm einst in Holland als Jüngling im
lebendigen Bewußtsein dessen, was er seiner Ehre und seinem Laude schulde,
den lüsternen Gesellen den Rücken gekehrt hatte, wie er ungeachtet aller Ab¬
neigung gegen die Schwarzenbergsche Mißwirtschaft in pflichtschuldigem Gehor¬
sam sich unter die ihm so unliebsamen Gebote des Vaters gebeugt hatte, und
von Holland zurückkehrend an dessen Hos sich begeben, demselben nach Preußen
gefolgt war, so wollte er auch in feiner Regierung „dessen stets eingedenk
bleiben, daß es nicht seine Sache sei, die er führe, sondern die des Volkes".
Dies kräftig ausgebildete Pflichtbewußtsein in Verbindung mit einem festen Ver¬
trauen auf Gott gab dem Kurfürsten den Mut und die Sicherheit, gegen die
äußeren und inneren Feinde seines Staates mit der gleichen Gewissensruhe in
Güte wie mit Strenge aufzutreten, und die Pflicht gegen das Ganze gab ihm
die sittliche Kraft, auch über juristisch begründete Rechte, die dem Ganzen zum
Schaden werden mußten, hinwegzuschreiten. So schwer es ihm im Einzelfalle
auch sein mochte, er stand dafür ein, daß summ um jus nicht summa injuria
wurde.
Auf Veranlassung der Kurfürstin-Witwe überreichte der General Georg
Ernst von Wedelt dem jungen Kurfürsten in den ersten Tagen feiner Regierung
eine Denkschrift, welche Regierungsgrundfätze aufstellte, die ihm zur Richtschnur
dienen sollten. Wir hören zwar nicht, wie der junge Kurfürst dieselbe auf¬
genommen hat. Ohne Zweifel aber wirkte der fromme Ton, den sie anschlägt,
aus sein Gemüt, die hohe klassische Bildung, die sie verrät, schlug eine ihm ver¬
wandte Saite an, und endlich die Realpolitik, die sie empfiehlt, stimmt in über¬
aus merkwürdiger Weise mit der vom Kurfürsten wirklich befolgten Politik
überein. Schonung aller Unterthanen, auch der etwa widerspenstigen, wenn sie
in ihrem Rechte zu sein glauben, die weise Beschränkung auf das, was zu er¬
reichen möglich ist, der Rat, es niemals auf die extrema ankommen zu lassen,
der Hinweis, daß es besser sei, einstweilen ein wenig von seinem Recht nachzu¬
geben, als alles in die Schanze zu schlagen, und nicht nach dem Spruch aut
Caesar, aut nihil zu handeln, vornehmlich aber auf die Erhaltung der Festungen
zu sehen und sich ein Heer zu rüsten; das sind Ratschläge, von denen man
meinen könnte, sie seien nicht Ratschläge für die Regierung des Kurfürsten,
sondern die a u s derselben gezogene Quintessenz.
Niemand zweifelt, daß der Führer eines Schiffes eine günstige Fahrt nur
dann erzielt, wenn er Herr feiner Mannschaft, und des festen Gefüges der
Meyer, Hohenzolleriibuch. I. Bd. y