Full text: Lektüre zur Erdkunde

— 131 — 
der Niederlande, ferner die Mainfranken samt den wesentlich fränkischen 
Pfälzern, die Schwaben und die Bayern. 
Aber es ist eine bisher zu wenig beachtete Tatsache, daß die ftaat- 
liche Weiterentwicklung sich nicht im Rahmen dieser Stammesgebiete 
vollzogen hat, sondern je länger je mehr hierbei Leitmotive zutage traten, 
die dem Zusammenwohnen in physisch geschlossenen Verkehrsprovinzen 
erwuchsen. Das geographische Moment erwies sich mithin machtvoller 
als die Stämmegliederung. Das Stammland der Sachsen blieb zwar 
bis zum territorialen Zerfall des spätmittelalterlichen Deutschlands über- 
Haupt noch längere Zeit eine politische Einheit, befaßte es doch bis auf 
den ins Rheinische Schiefergebirge reichenden Südzipfel, den heutigen 
Regierungsbezirk Arnsberg, das gut geeinte Stück Tiefebene von Hol- 
stein bis gegen den Niederrhein. Ihm schlössen sich die wahlverwandten 
ostelbischen Slawenlande zum guten Teil an, die durch ihr Plattdeutsch 
noch zur Stunde die Macht der niedersächsischen Kolonisation verkünden. 
Auch Hessen und Thüringen gaben in der so ungeographischen, meist 
rein dynastisch bedingten Herausschälung kleiner und kleinster Sonder- 
gebiete ihre Landeseinheit noch einigermaßen zu erkennen. Indessen der 
im Bodenbau gar nicht wurzelnde Grenzzug des lothringischen Herzog- 
tums verschwand gar bald, auch die Pfalz schied sich von Mainfranken, 
das Schwabenland zertrennte sich in seine geographischen Elemente, die 
fast ausschließlich von den Bayern besiedelten deutsch-österreichischen 
Lande, die dämm ursprünglich nur Marken unter der Oberhoheit des 
bayrischen Stammesherzogtums ausmachten, verselbständigten sich als 
alpine Wohnräume dieses Stammes, nur durch den Donaustrom ver- 
knüpft mit dem nunmehr auf das Alpenvorland nebst den ihm durch 
Isar und Itter angeschlossenen Randgliedern der nördlichen Kalkalpen 
beschränkten Herzogtum, dem fortan allein der Bayernname verblieb. 
Die Entfaltung des mitteleuropäischen Staatensystems unserer 
Tage hat gar nichts gemein mit der Grenzabsonderung der Teilstämme 
unserer Nation. Bruchstückweise sind letztere an die fünf Staaten auf- 
geteilt. In den Niederlanden, Flämisch-Belgien und Luxemburg wohnen 
außer den friesischen Strandleuten Niedersachsen und Franken, in der 
Schweiz mit Romanen unter einem Dach Schwaben, in Österreich mit 
Slawen in friedloser Ehe Bayern. Nur die innerdeutschen Stämme 
der Thüringer und Hessen sind dem im neuen Deutschland zusammen- 
gefaßten Hauptrest Mitteleuropas ganz treu geblieben. Unser heutiges 
Deutsches Reich ist der Inbegriff sämtlicher Stämme unserer Nation, 
soweit sie nicht ausgerankt sind in die peripherisch abgegliederten mittel- 
europäischen Staaten oder hinausgezogen nach Großbritannien, Sieben- 
bürgen, Rußland und in transozeanische Fernen. 
Wohl haben einstmals Stammesinteressen der politischen Einung 
unseres Volkes widerstrebt, als es noch keine mitteleuropäische Pentarchie 
gab. Der Sachsenstamm trägt noch immer seinen Widukind im Herzen, 
9*
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.