Eine Besteigung des Montblanc.
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eine Weberknechts- oder Zimmermannsspinne (Phalangium) wurde
als letzter Vertreter des Hochalpinischen Tierlebens bei 3700 m auf¬
gefunden. Auch verirrte Tiere unterer Striche sind bei Bergbestei-
gnngen beobachtet worden. Hugi fand auf dem Finsteraarhorn bei
3900 in eine lebende Schneemaus, auf dem Monte Rosa bei 4500 m
begegnete Zumsteiu einer Gattnng silberfarbiger, halbtoter Schmetter-
linge, dem Perlmuttervogel ähnlich, und selbst bei 4555 m einem roten
Falter, der über die Znmsteinspitze wegflog, während auf dem Schuee
tote uud sterbende Mücken lagen. Die Gebrüder Schlagintweit
brachten im August 1851 von der Bincentpyramide, 4200 m, und
vom Weißthorpaß, 3618 m, erdige Substanzen mit, die Prof. Ehren-
berg in Berlin erst im Mai 1853 mikroskopisch untersuchte uud als
eine Unzahl von Rädertierchen, Bärentierchen und Alchen erkannte,
vou denen ein Fünsteil nach beinahe zweijähriger Trockenheit im
Wasser wieder Leben gewann.
Doch diese schwachen Spuren des Pflanzen- und Tierlebeus
ändern deu Totaleindruck jener obersten Zone nicht. Ein geheimnis¬
volles Schauergefühl majestätischer Ode weht von diesen kalten, weißen,
schweigenden Gipfeln den Bergsteiger an, der doch sich von diesen
silberglänzenden Kuppeln, Hörnern und Eispyramiden wunderbar an-
gezogen fühlt. So dringt er wenigstens in kühnen Streifzügen in
ihr Geheimnis, das noch lange nicht allseitig erschlossen ist. Gewaltige
Gebirgsmassen sind noch von keinem Menschenfnße betreten uud er-
heben namenlose Hörner in die Luft, die nie eines Menschen Stimme,
nur der sausende Flügelschlag des königlichen Bartgeiers bewegt hat.
Stundenlange Eismeere wölben ihre ehernen Fluten, die nie ein Wan-
derer berührt oder nur geseheu. Manches in den zerrissenen Armen
der Hochalpen rnhende Thal hat kanm eines Jägers, eines Wurzel-
sammlers oder Krystallgräbers Fuß betreten; es ist unbekannter als
die Küste der entlegensten Inselgruppen oder als das Uferland des
afrikanischen Congo.
3. Eine Besteigung des Montblanc.
Von Chamonix brachen wir, lange bevor die Sonne in das
Thal herabkam, mit unseren Führern und Trägern, welche alles für
die Besteigung des Bergriesen uns Nötige trugen, auf. Nachdem
wir die Arve überschritten und zwei Stunden zurückgelegt hatteu,
hielten wir Musterung. Der Zugführer findet endlich alles in Ord-
nung und ruft uns zu: „Jetzt, meine Herren, wenn's gefällig ist,