Full text: Geographische Charakterbilder aus Europa (Teil 2)

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Den Naben kitzelte solch Lob und Schmeicheln, fing an, wollte seinen 
schönen Gesang hören lassen, und als er den Schnabel aufthat, entfiel ihm der 
Käse; den nahm der Fuchs behend, fraß ihn und lachte des thörichten Raben. 
Hüte dich, wenn der Fuchs den Raben lobt. 
Hüt' dich vor Schmeichlern, sie schinden und schaben. 5 
21. Der Fuchs. 
(Masius.) 
Der Regen verzieht, der Wald schüttelt die lauen Tropfen aus dem Haupte, 
und von den Wacholderbüschen der Heide steigt's erfrischend und würzig in 
die Abendluft. In allen Schlupfwinkeln regen sich Flügel und Füße. Die 10 
Mücken beginnen ihre Tänze, die Ameisen kriechen hervor, ihre verschwemmten 
Straßen wiederherzustellen, Finke und Lerche schmettern um die Wette, der Hase 
schießt Kapriolen, und auch der Fuchs verspürt ein heimliches Rühren. Dort 
lauscht er zwischen den Wurzeln einer alten Eiche. Er „windet"; denn 
„Vorsicht ist die Mutter der Weisheit". Aber alles ist sicher, die ganze Natur 15 
wiegt sich frühlingstrunken in dem erfrischten Element. Mit einem Satze ist 
Reineke vor der Thür. Jetzt könnt ihr ihn deutlich sehen. Wie er dasteht! 
Das Ohr, scharf herausgespitzt, schiebt sich unten weit vor, um jeden Laut 
zu fassen. Es ist gemacht, die über ihm auf Bäumen schlummernde Beute zu 
erspüren; das leiseste Geräusch, das Zittern eines Blattes, das Zucken des 20 
träumenden Vogels fällt in die horchend ausgespannte Öffnung. Nichts entgeht 
ihm. Und nun diese Nase! Wieviel Bosheit, List und Gewandtheit liegt in 
dieser feinen, langgestreckten und geschmeidigen Spitze! — Aber das interessanteste 
Gesicht ist nichts ohne die Augen. Schön darf man nun freilich das Fuchsauge 
nicht nennen. Man erkennt daran sogleich das nächtliche Raubtier; es spielt 25 
ans grau in grün, liegt schief, halb in der Höhle versteckt, am Tage zur senk¬ 
rechten Spalte verengert, und hat weder die „Waldfrische", die uns aus dem 
Auge des Rehes so munter anspricht, noch auch das rollende Funkeln, welches 
dem Katzenblicke jenen magnetischen Reiz giebt; und dennoch liegt unendlich 
mehr Bedeutung darin! Jetzt senkt es sich in demütiger Ergebung, oder es 30 
blickt unschuldig und kindlich umher; jetzt spielt ein spöttisches Lächeln um 
seine Lider, und jetzt wieder zuckt ein Blick daraus hervor, spitz und giftig, 
als treffe uns plötzlich der Stich einer Viper. 
Alle übrigen Teile des Gesichtes wie des ganzen Körpers stimmen zu 
diesem Bilde. Der Mund spaltet sich weit, denn der Fuchs ist ein Räuber; 35 
ein sparsamer Bart stellt sich in langen, zurückstrebenden Spitzen wie ebenso 
viele Widerhaken um die Oberlippe; diese Lippen sind fein geschnitten und 
geschlossen, deuten auf Thatkraft und Selbstbeherrschung. Öffnen sie sich aber, 
dann blecken scharf und grimm die Zacken des Gebisses, oder es dringt ein 
heiseres, hustenartiges Bellen hervor. Den schlanken, hangenden Leib tragen 40 
schnelle Füße fast spurlos über den Boden, und stattlich schmückt ihn die buschige 
Schleppe. Die Farbe des Schweifes schimmert rot und goldig, und rot und 
goldig ist — mit Ausnahme des sauberweißen Vorhemdchens — der ganze Pelz. 
Daher heißt der Fuchs von alters her der Rote, der Feuerfarbene. Nach ihm 
sind wiederum die blanken, flinken Goldstücke getauft worden, die auch wie der 45 
Fuchs „mehr als ein Loch wissen", wo sie auslaufen.
	        
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