Full text: Geographische Charakterbilder aus Europa (Teil 2)

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Gavernie. Der behaglichste Ort in der Dorfherberge war die 
Küche. Sie war sehr groß, Wohnzimmer, Schlafzimmer, Gastzimmer, 
alles in allem. Ein lustiges Feuer brannte im Kamin; der Kessel, 
genau wie in den Bauernhäusern in Westphalen, hing am Haken dar- 
über und summte; ringsherum staudeu niedrige Strohstühle. Die Wirtin 
erteilte ihren Mägden einige kurze Befehle und setzte sich mit uns ans 
Feuer. Die ganze Hausgenossenschaft umstand uns und war entsetzt 
über uufere Absicht, bei solchem Wetter die Wasserfälle zu besuchen. 
Indessen waren wir entschlossen, da wir keinen andern Tag hatten, 
die Expedition zu unternehmen. 
Nach einigen Stunden trabten wir auf unseren sicheren kleinen 
Gebirgspserden munter dahin, in der Thätigkeit das Ungemach des 
Wetters vergessend. 
Wo die Gefahren blieben, von welchen man gesprochen hatte, 
weiß ich nicht. Freilich ritten wir fast immer am Rande des steilen 
Absturzes, in welchem der Gave brauste; freilich mußte das Pferd 
oft durch das rauschende Wasser gehen, steile Abhänge hinauf zwischen 
Steinen klimmen, aber es that es so klug und so ruhig, mit so viel 
Sicherheit, daß es impouierte, uud sein Besserwissen alle Weisheit 
des Reiters verdunkelte. 
Der Wind trieb uns den Regen ins Gesicht, so daß wir oft 
am Sehen verhindert wurden, aber mit der Wendung des Weges 
wurde der Blick wieder frei. Schlimmer war, daß er die Berge in 
Schleier hüllte, auf dereu Gipfel ohnehin die Wolken lagerten. In 
einer Stuude erreichten wir die Gavefälle und standen vor dem groß- 
artigen Schauspiel. 
Wir hatteu vor uns ein ungeheures Amphitheater, gebildet von 
einem Kreis jäher Felswände, fast senkrecht bis zur Höhe vou 1000 
Meter uud darüber sich erhebend, und einen prachtvollen Wasserstrom, 
der vou dorten sprudelnd und tobend fast bis zum Fuß dieses kolossalen 
Fclskessels herabstürzt. Auf deu firnbedeckten Gipfeln des Tour de 
Marbors und der sogenannten Rolandsbresche aber, beide über 3000 
Meter hoch, da liegen die Gletscher, aus deueu jene gewaltigen Wasser- 
stürze, die die Hauptquelle des Gave de Pau bilden, ihren Ursprung 
nehmen. 
Wir legteu den Rückweg in kürzester Zeit zurück, weil wir be- 
deuteud gestiegen waren, und nahmen in Gavernie von neuem uusern 
Wagen. 
Der Regen hatte aufgehört, und ein freundliches Wetter begleitete 
unsere Fahrt uach Pau. Nach einigen hübschen Blicken auf das
	        
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