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Liberale Parteien.
sozialer Verein. Dieser wollte ein starkes Nationalgefühl, eine
unbedingte Liebe zu dem Kaisertum vereinen mit einer äußerst
weitgehenden Arbeiterpolitik, mit einer Demokratie, wie sie in
Preußen-Deutschland zunächst nur eine Utopie ist. Infolge der
Mahlen von 190Z wurde wegen der Mißerfolge die bisherige
Organisation des Nationalsozialen Vereins aufgehoben und der
Anschluß an die freisinnige Vereinigung beschlossen. Durch die
Wahlen von 1907 ist Pfarrer Naumann als dessen Mitglied in den
Reichstag gekommen. Der bisherige Parteisekretär Ehr. Mauren¬
brecher trat zur Sozialdemokratie über, A. Damaschke lehnte den
Anschluß wie andere gleichfalls ab und widmet sich nach wie vor
der von ihm besonders eifrig propagierten Bodenbesitzreform.
Was die Presse dieser Parteien angeht, so ist die „Preußische
Kreuzzeitung" das Organ der konservativen Partei, die „Post"
dasjenige der Neichspartei, auch freikonservative Partei genannt,
während die Zeitung „Das Volk" Stöckers Ansichten vertrat und
„Die chilfe" nationalsoziale Tendenzen verfolgte.
Betrachten wir die liberalen Parteirichtungen. Den Ge¬
danken, das Leben nach persönlichem Bedürfnis einzurichten, die
Freiheit des Individuums in geistigen, religiösen, politischen und
wirtschaftlichen Erscheinungsformen des Daseins zu erringen,
hat der Liberalismus zum beherrschenden Grundsatz erhoben
und im Laufe des ^9- Jahrhunderts vielfach jahrzehntelang sieg¬
reich durchgesetzt. In wirtschaftlicher Beziehung sind die Ein¬
flüsse der klassischen englischen Nationalökonomie unverkennbar,
so daß man das liberale Wirtschaftsprinzip gleichstellen kann mit
denjenigen Vorstellungen, die, von Adam Smith und seinerSchule
verkündet, lange Zeit als ein Evangelium galten. Das freie
Spiel der wirtschaftlichen Kräfte, der wohlverstandene Egoismus
der Einzelnen sollte maßgebend sein für die Verständigung der
Menschen untereinander. Die liberalistische Weltanschauung hat
große Wirkungen gezeitigt. Ohne sie wäre weder die Bauern¬
befreiung, noch die Beseitigung der Zünfte, noch die Gewerbe¬
freiheit, noch die unbeschränkte Niederlassungsfreiheit denkbar.
Lediglich die liberale Weltanschauung hat das Grundeigentum von
der Schmach menschenunwürdiger Bauernuntertänigkeit befreit.
Auch die anderen großen sogenannten negativen freiheitsrechte,
wie Verehelichungsfreiheit, das Recht der Vereine und Ver¬
sammlungen, Preßfreiheit, Religionsfreiheit usw. verdanken
ihren schließlichen Sieg in Deutschland dieser allgemeinen liberalen