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da die Landarbeit ruht, und das Vieh in dem warmen Stalle nur
geringer Mühewaltung bedarf Die Schlittschuhe werden hervorgeholt,
und nachdem der Schmied den Stahl geschärft, der Schuster die Leder—
riemen ausgebessert hat, geht's flugs auf die Eisbahn hinaus. Männer
und Frauen, Knaben und Mädchen, Reiche und Arme, alle geben sich dem
schönen Vergnügen des Schlittschuhlaufens hin; selbst alte Leute in
weißen Haaren sieht man noch fröhlich auf dem scharfen Stahle über
die spiegelglatte Fläche dahingleiten. Hier laufen einzelne, dort saust
eine ganze Kette von Läufern, von denen jeder sich an der auf dem
Rücken liegenden Hand des Vordermanns festhält, mit der Geschwindig—
keit eines Zuges dahin. Die frische Winterluft rötet die Wangen, die
gesunde Bewegung stählt die Glieder.
Der ostfriesische Schlittschuh mit seinem langen, scharfkantig ge—
schliffenen Stahl, wie ihn in berühmter Güte verschiedene Schmieden in
Ostfriesland liefern, ist besonders für das schnelle, vorwärts eilende Laufen
berechnet. Nicht selten fordert ein tüchtiger Läufer zum Wettkampfe heraus,
indem er seinen Schlittschuh in der „agdweide“ einer Wirtschaft an den
Nagel hängt. Wer ihn herunterlangt, bekundet damit, daß er den
Wettkampf gegen den angezeigten Preis wagen will. Der festgelegte
Tag wird in den Zeitungen bekannt gemacht, und Hunderte von
Menschen finden sich ein, dem Laufen beizuwohnen. Der Schauplatz
ist eine kilometerlange Eisbahn, an deren Endpunkten die Preisrichter
sich mit einem Fähnlein aufpflanzen. Auf ein gegebenes Zeichen legen
die Läufer los, und wie der Wind fliegen sie bis zum Ende der Bahn
und wieder zurück. Mit hellem Jubel wird der Sieger begrüßt, und
dann gehen alle, Freunde und Gegner, zum Wirtshause, wo am offenen
Herdfeuer beim dampfenden Eierbiere der Abend in fröhlichster Stimmung
verbracht wird. Oft auch läßt ein kluger Wirt üm eine Uhr, eine
silberbeschlagene Tabakspfeife oder einen andern schönen Preis um die
Wette laufen, und er findet seinen Vorteil dabei, denn er kann auf
ein volles Haus rechnen. Selbst Mädchen und Frauen beteiligen sich
zuweilen an solchem Wettkampfe.
Wohl birgt das Eis auch manche Gefahr, und fast in jedem
Winter fordert es seine Opfer; aber dennoch ist und bleibt das Schlitt—
schuhlaufen für den echten Ostfriesen die liebste Lust.
127. Das Dorf.
L. Steht ein Rirchlein im Doxf, gehk der Weg dran vorbei,
und die Hühner, die machen am Weg ein Geschrei.