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2. Physiognomie der Stadt.
Der Ankömmling findet die Stadt klein, und sie ist es; denn sie hat
nur 60 000 Einwohner; er findet sie auch ohne monumentale Gebäude.
Ihr Antlitz erzählt ihre Geschichte, und sie hat eine Geschichte. Sie ist
kein Pilz, von gestern auf heute emporgeschossen; ihr Wachstum umfaßt
mehr als zwei Jahrhunderte. Wir drängen uns durch di? an das Gestade
stoßenden belebten Gassen und erreichen alsbald das Stadtviertel der Ge¬
schäftsleute. Drei oder vier parallele Straßen führen zu dem Mittelpunkte
der Stadt. Allenthalben Magazine, elegante Kaufläden, eine oder zwei
etwas pompös aussehende Banken. Hier herrscht immer reges Leben. Ohne
die Schwarzen, die man überall sieht, würde man sich in Europa glauben.
Die Capstadt verändert ihre Züge in dem Maße, als sie sich vom
Gestade entfernt. Zuerst Seehasen, dann Handelsstadt, dann offizielles
und politisches Centrum mit dem Gouvernements-Hause und dem Parla¬
ments-Gebäude. Ein wenig weiter wird die Stadt zum Garten: der
botanische Garten, der Garten des Gouverneurs, der öffentliche Garten.
3. Die Umgebung.
Noch einige Schritte weiter findet man sich plötzlich und ganz uner¬
wartet auf dem üppigen Rasen einer von Fichten umrahmten großen Wiese.
Ringsum ländliche Einsamkeit und Stille. Hinter uns ein Vorhang von
Bäumen, über welche schlanke Kirchtürme in die Luft ragen. Im Süd¬
westen klettern die Häuser die ersten Staffeln des Löwenkopfs hinan. Es
lohnt sich der Mühe, die steilen Gassen dieser Vorstadt zu erklettern. Da
liegt die Stadt und die See zu unsern Füßen ausgebreitet, und jenseits
der Bucht gewahren wir das „Blaue" und das „Hottentottengebirge" und
mehr oder weniger überall den Tafelberg. Vergeblich wendet man die
Augen ab. Die Mauer von Granit fesselt den Blick. „Da bin ich",
sagt sie, „da bleibe ich!" Sie würde die Harmonie des Blickes stören
ohne den vermittelnden Einfluß des Oceans, dessen unermeßlicher Horizont
das Gleichgewicht aufrecht erhält.
4. Die Bewohner.
Das Gestade und die anliegenden Gassen sind belebt von Matrosen,
Schiffern, Fischern, die ihren Fang feilbieten, Arbeitern aus St. Helena,
alle mit mehr oder weniger dunkler Hautfarbe, ein sonderbares Unter¬
einander reiner und gemischter Rassen, Abkömmlinge der ehemaligen Herrn
des Bodens, der Hottentotten, Kaffern; Neger aus Namaqua- und
Damaraland, Malayen.
In dem Viertel der Geschäftsleute herrscht der Weiße vor, aber der
Schwarze verschwindet nie gänzlich. Nirgends und niemals verliert man
ihn aus den Augen; er ist der Herr des Kontinents. Die Vorstadt am
Löwenkopf ist hauptsächlich von Farbigen bewohnt. Gegen Abend leeren
sich die Gassen; jedermann, Chef und Commis, Vorstände unv Unter¬
gebene, Bankiers, Kaufleute, jeder, der kann, wohnt am Lande. Da füllen