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sich die Elsenbahnzüge mit Reisenden und die Heerstraße mit Equipagen.
Jedermann flüchtet in der Richtung nach Wynberg (spr. Weinberg), dem
Paradiese des Caps. Nur die britischen Würdenträger, Civil und Militär,
mit ihrem Personal werden meist zurückgehalten.
5. Witterung.
Das Leben in Capstadt ist recht angenehm; nur eins fehlt: Kamine.
Daher bringt man die Abende und die frühen Morgenstunden in den
Fauteuils zu, in einen oder mehrere Shawls gehüllt. Um 10 Uhr wird
der Oaloritero (Heizapparat) geöffnet, nämlich das Fenster. Die Gasse
ist der Wärmeleiter, die Sonne das Feuer. Aber wenn die Sonne nicht
scheint, wenn der Tafelberg schwarze Nebelkappen aufgesetzt hat, wenn der
übel beleumundete Südwest immer neue Wolkenballen auftürmt, wenn die
Häuser in ihren Grundfesten zittern und die Windstöße Miene machen, die
Fensterscheiben einzudrücken, während die Nacht mitten im Tage die Ztadt
in ihr Dunkel hüllt, bis wieder auf Augenblicke fahle, gelbliche, unheimliche
Lichter die Nebel durchdringen, was dann? Ei, ein wenig Geduld und
ein Plaid mehr! Öfters erlebt man nach einem furchtbaren Tage einen
idealen Abend. In der Sommerzeit wechselt die Witterung mit wunder¬
barer Raschheit. Überdies beschränken sich diese Stürme gewöhnlich auf
die Stadt, ihr Weichbild und die Bai. Während die auf der Rhede vor
Anker liegenden Schiffe sich in großer Gefahr befinden, ist weiter draußen,
auf fünf oder sechs Meilen Entfernung, der Himmel rein und die See
wie ein Spiegel.
6. Wynberg.
Am südlichen Abfall des Tafelberges umfängt dichter Wald seine
Grundfesten, füllt die Klüfte, kriecht den Abhängen entlang und endigt nur,
wo ihm senkrechte Wände Halt gebieten. Am Fuße dieses Berges beginnt
eine wellenförmige, zerklüftete Terrasse. Bedeckt mit ehrwürdigen Eichen,
alten Fichten (einst aus Holland eingeführt), steigt sie in sanfter Neigung
zur Ebene hinab. Es ist ein Park, oder vielmehr ein von langen und
breiten Wegen durchfurchter Wald; es ist keine Stadt, aber es ist Wyn¬
berg, d. h. eine Anzahl von Wohnhäusern, zerstreut im Laube liegend,
mit glitzernden Fensterscheiben, niedlich übertünchten Mauern, im ganzen
an Holland erinnernd, aber eingerichtet mit englischen Möbeln und mit
englischem Sinn für Behaglichkeit. In diesem paradiesischen Wynberg lebt
man eigentlich; man fährt morgens nach der Capstadt und abends zurück
nach Hause.
Von hohen Punkten gewahrt man False-Bai und den Horizont des
Meeres; aber dies Meer ist nicht mehr das atlantische, welches wir bei
Capstadt verlassen haben, sondern es ist der indische Ocean, oder kurzweg
der Ocean, wie man dortzulande sagt. Die noch von Leoparden be¬
wohnten Felsen, deren Profil sich zu unserer Rechten dahinzieht, bilden
die Kette, bekannt unter dem allgemeinen Namen des „Caps der guten
Hoffnung".