119
bemerkte; der Hase habe ein volles Euter, machten sie sich daran, ihn zu
melken und thaten sich gütlich an der noch nie gekosteten Hasenmilch. Kaum
war indes; das Geschichtchen den Göttingern hinterbracht, als die Dransfelder
auch ihren Spitznamen weghatten und noch bis auf den heutigen Tag die
„Hasenmelker" heißen.
Die Dransfelder bleiben's ihnen aber nicht schuldig und nennen die
Göttinger die „Eselfresser", und zwar nach der gewöhnlichen Überlieferung
deshalb, weil die Göttiuger die Dransfelder Jäger bei ihrem vermeintlichen
Hasen überrascht und ihnen die Beute abgenommen hätten, welche dann von
den Göttingern ebenfalls für einen Hasen angesehen und von ihnen geschlachtet
und verzehrt worden wäre. Die Erklärung des Spitznamens „Eselsresser" in
dieser Weise lag nahe, indem sie an den vorhin erzählten Vorgang leicht
anknüpfen konnte, allein sie ist, da die Göttinger als jagdberechtigte und jagd-
kundige Leute genannt werden, unmotiviert und ohne Zweifel eine Erfindung
späterer Zeit, welcher eine Sage vom „Brakenberg" ganz abhanden gekommen
sein muß, die ich so glücklich war, aus dem Munde eines alten Einwohners von
Herberhausen zu hören.
Das Dors Herberhausen liegt eine halbe Stunde von Göttingen und
etwas entfernt von der nach Gieboldehausen führenden Chaussee am Fuße eines
steilen, kahlen Berges, welcher Brakenberg heißt. Dieser Drakenberg trug vor
vielen hundert Jahren das Raubschloß der gewaltthätigen nnd grausamen
Herren von der Drakenburg. Der letzte Besitzer der Burg war ein alter, über-
mütiger Junggesell; keine adelige Jungfer in der Nachbarschaft hatte ihm ihre
Hand geben wollen, und so saß er unbeweibt und griesgrämig auf seiner Burg,
bis ihm das Haar schneeweiß wurde. Da war einmal auf dem „Junkern-
Hause" in Göttingen ein großes Fest, zu welchem viel vornehme Herren, Frauen
und Jungfern aus aller Welt Enden geladen waren; auch der Herr von der
Drakenburg erhielt, obgleich ihn eigentlich niemand leiden mochte, eine Ein-
ladung zum Feste, uud das war ihm sehr lieb, „denn," dachte er, „unter den
vielen fremden Jungfern wird sich aiu Ende doch noch eine finden, welche Lust
hat, deine Frau zu werden." — Nun schloß der alte Geck Kisten und Kasten
aus, suchte seine besten Kleider hervor und putzte sich, als ob er ein zwanzig-
jähriger Prinz wäre. Das kostbarste aber, was er anlegte, waren seine weißen
seidenen Strümpfe, ein Putz, welchen dainals in dortiger Gegend die vornehmsten
Leute noch nicht kannten.
Als nun der Herr von der Drakenburg beim Junkern-Hause vorfuhr
und in seinen kostbaren Strümpfen aus dem Wagen stieg, lachten die umstehen-
den Göttinger laut auf und verspotteten derb den eitlen, weibischen Mann.
Da wurde der Verspottete bitter und böse, schrie die Spötter an: „Geduld,
ihr Tölpel, ich werde zuletzt lachen!" und suhr im vollen Galopp wieder zum
Albaner-Thor hinaus. Als der Grimmige in seine Burg einfuhr, lief ihm einer
seiner Esel zwischen die Pferde und mußte dafür sein Leben lassen, denn der
zornige Herr stach ihn auf der Stelle tot. Wie das Tier nun alle Viere von
sich streckend dalag, wurde es dein Drakenburger plötzlich klar, auf welche Weise
er sich an den Göttingern rächen könne. — Der nächste Tag war ein Markttag,
und nach damaliger Sitte pflegten die umliegenden Gutsbesitzer Fleisch an den