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Traurige Zeiten kamen wieder wahrend des französischen Krieges
im Anfang dieses Jahrhunderts über die Stadt. Als die Franzosen
1803 unser Vaterland besetzten, bekam auch Hameln französische
Einquartierung, welche übermütig darin hansete. Da in der schönen
Münsterkirche gerade eiu Gewölbe ausgebessert wurde und deshalb
kein Gottesdienst gehalten werden konnte, machten die Feinde eiu
Magazin und einen Pferdestall daraus; außerdem legten sie der
Stadt große Brandschatzungen ans uud schleiften die Festung; nur
drei Türme sind noch von deu zwauzig starken Festungstürmen,
welche einst die Stadt umgaben, zu seheu.
Die Stadt hat 11 011 Einwohner, welche sich von Ackerbau,
Handel und Gewerbe nähren. Sie ist umgeben von zahlreichen
©arten mit Sommerhäusern. Über die Weser führt eine prachtvolle
Kettenbrücke, welche 60 000 Thaler gekostet hat. Jeuseit der Stadt
liegt der Klüt, ein hoher Berg, von welchem aus man eine Pracht-
volle Aussicht iu das Weserthal uud weithin über die Züge des
Süntels hat. Deshalb wird er viel besucht, obwohl er wegen seiner
Steilheit nur mit Mühe zu besteigen ist. Vor 100 Jahren wurde
er mit starken Festungswerken versehen, die aber ebenfalls von den
Franzosen zerstört sind.
[14] Flügge.
77. Die Ausführung der hamelnslhen Kinder.
Eine Sage.
Jin Jahre 1284 wurden die Einwohner von Hameln von einer ungewön-
lichen Anzahl Natten und Mäuse geplagt. Alle Mittel, sie zu vertreiben, waren
vergebens. Da erschien plötzlich ein unbekannter, abenteuerlich gekleideter Mann,
welcher sich erbot, gegen eine Summe Geldes die schädlichen Gäste zn vertilgen.
Freudig versprach man ihm die nicht unbedeutende Summe. Lächelnd zog nun
der Fremde eine Sackpfeife hervor, spielte auf derselben ein Lied und durchzog
sämtliche Straßen der Stadt. Alsbald krochen die Ratten und Mäuse aus
ihren Schlumpfwinkeln hervor, sammelten sich hinter dem Pfeifer und liefen
ihm nach, so daß von ihrer Zahl die Straße bald bedeckt ward. Sodann ging
er zum Thore uach Lachem und Ärzen hinaus und führte sie an die Weser.
Unaufhaltsam folgten ihm die Tiere in das Wasser, in welchen: sie ertranken.
Als die Bürger von Hameln sich auf eine so leichte Weise befreit sahen,
gereute'sie ihr Versprechen, uud unter der Beschuldigung der Zauberei weigerten
sie sich, den bedungenen Lohn auszuzahlen. Da beschloß der Rattenfänger,
schwere Rache au der Stadt zu üben.'
Kurze Zeit nachher, am Johannistage, als die Einwohner von Hameln
des Festtages wegen fast alle zur Kirche gegangen waren, erschien er unerwartet
wieder iu der Stadt. Er war als Jäger gekleidet. Ein breiter Hirschfänger
war an seinen Leib gegürtet; vou dem feuerroten Hute nickten lange Hahnen¬
federn hernieder, und aus seinen grauen Augen schoß ein höhnisches Lächeln
hervor, während seine Mienen Fröhlichkeit und muntere Laune heuchelten.