Über die Wasserfälle des Grinoco bei Ktures und Maypures. 5 
Ähnlichkeit aller Erzeugnisse des Palmen-Klimas unkundig, daß 
jener Neue Kontinent die östliche Küfte des weit vorgestreckten 
Asiens sei. Milde Kühle der Abendluft, ätherische Reinheit des 
gestirnten Firmaments, Balsamduft der Blüten, welchen der 
Landwind zuführte: alles ließ ihn ahnen, daß er sich hier dem 
Garten von Eden, dem heiligen Wohnsitz des ersten Menschen- 
geschlechts, genähert habe. Der Grinoco schien ihm einer von 
den vier strömen, welche nach der ehrwürdigen Zage der Vor- 
welt von dem Paradiese Herabkommen, um die mit pflanzen 
neugeschmückte Erde zu wässern und zu teilen. Diese poetische 
Stelle aus Colons Reisebericht oder vielmehr aus einem Briefe 
an Ferdinand und Isabella aus Haiti (Oktober 1498) hat ein 
eigentümliches psychisches Interesse. Sie lehrt aufs neue, daß 
die schaffende Phantasie des Dichters sich im IVeltentdecker wie 
in jeglicher Größe menschlicher Charaktere ausspricht. 
lvenn man die lDassermenge betrachtet, die der Grinoco 
dem Atlantischen Ozean zuführt, so entsteht die Frage, welcher 
der südamerikanischen Flüsse, ob der Grinoco, der Amazonen - 
oder la Plata-Strom der größte sei. Die Frage ist unbestimmt, 
wie der Begriff von Größe selbst. Die weiteste Mündung hat 
der Rio de la plata, dessen Breite 23 geogr. Meilen1) beträgt, 
lvie der Grinoco bei seiner Mündung schmäler ist als der la 
plata- und Amazonen-5trom, so beträgt auch seine Länge, nach 
meinen astronomischen Beobachtungen, nur 280 geogr. Meilen. 
Dagegen fand ich tief im Innern der Guyana, 140 Meilen 
von der Mündung entfernt, bei hohem Wasserstande den Fluß 
noch über 15 200 Fuß breit. 5ein periodisches Anschwellen 
erhebt dort den Wasserspiegel jährlich 28 bis 34 Fuß hoch 
über den Punkt des niedrigsten Standes. 
Zeigt der Grinoco in dem Delta, welches seine vielfach 
geteilten noch unerforschten Arme einschließen, in der Regel- 
Mäßigkeit seines Anschwellens und Zinkens, in der Menge und 
Größe seiner Krokodile mannigfaltige Ähnlichkeit mit dem Nil- 
ströme, so sind beide auch darin einander analog, daß sie lange 
als brausende lvaldströme zwischen Granit- und Zyenit-Gebirgen 
1) 7420,44 m — deutsche geogr. Meile.
	        
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