Full text: Bilder aus dem Lande Braunschweig

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21. Der Bettelknabe von Venedig. 
In Braunschweig auf dem Altstadtmarkte steht dem schönen 
Rathanse gegenüber ein greises, mächtiges Gebäude. In den 
Giebeln über seinen Fenstern sind zur Zierde steinerne Rosen 
und Sterne angebracht, in vielen aber erblickt man auch Hüte. 
Ferner steht an der Ecke, da, wo man in die Breite Strafse 
eingeht, aus Stein gehauen die Gestalt eines Betteljungen. Er 
hat nur eine kurze Jacke an, seine Hosen sind zerrissen, Schuhe 
und Strümpfe fehlen ganz. In den Händen hält er einen Hut 
vor sich hin, wie es die Bettler zu thun pflegen. Dieser Knabe 
hat das grofse Eckhaus erbaut, und das ist so zugegangen. 
Eines Tages wurde der Herzog Georg Wilhelm von Lüne¬ 
burg in Venedig von einem Knaben um eine Gabe angesprochen. 
In Ermangelung kleinerer Münzen warf ihm der Herzog ein 
Goldstück in den Hut. Sofort lief der Betteljunge zu einem 
Krämer, liefs es wechseln und stellte dem Herzoge die erhal¬ 
tenen kleineren Münzen treulich zu. Diese Ehrlichkeit gefiel 
dem Fürsten, er beschenkte nicht nur den Knaben reichlich, 
sondern behielt ihn auch als seinen Führer bei sich. Seine 
Zuneigung zu ihm wurde noch vermehrt, als der Herzog er¬ 
fuhr, der Knabe, welcher Johann Franzesko Stechinelli hiefs, 
stamme aus einer edlen, aber verarmten Familie Venedigs. 
Bald nach dieser Geschichte konnte Franzesko seinem 
fürstlichen Gönner einen grofsen Dienst erweisen. Zwei Vene- 
tianer, verrufene Leute, hatten einen Anschlag auf das Leben 
des Herzogs gemacht und sich verabredet, ihn mit dem Dolche 
oder durch Gift aus der Welt zu schaffen. Kaum hatte dies 
Stechinelli vernommen, als er eiligst zum Fürsten lief und 
ihn vor der drohenden Gefahr warnte. Solchen Dienst vergafs 
ihm Georg Wilhelm niemals wieder. Vorläufig stellte er ihn 
als seinen Kammerdiener an und nahm ihn später mit nach 
Deutschland. Hier stieg er von Stufe zu Stufe und erfreute 
sich der Gunst seines fürstlichen Herrn. So wurde ihm der 
Handel mit fremden Tuchen freigegeben, und endlich erfolgte 
seine Ernennung zum General-Postmeister in den braunschweig¬ 
lüneburgischen Landen. Als solcher hat er sich das schöne
	        
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