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19. Nachtgebet. von Luise Hensel.
Miꝛ bin ich, geh, zur Ruh',
schließe beide Auglein zu;
Vater, laß die Augen dein
über meinem Bette sein!
2. Alle, die mir sind verwandt,
Gott, laß ruhn in deiner Hand!
Alle Menschen, groß und klein,
sollen dir befohlen sein.
3. Kranken Herzen sende Ruh',
nasse Augen schließe zu!
Caß den Mond am Himmel stehn
und die stille Welt besehn!
20. Der kleine Häwelmann. vVon Theodor Storm.
E⸗ war einmal ein kleiner Junge, der hieß Häwelmann. Des
Nachts schlief er in einem Rollenbett und auch des Nach—
mittags, wenn er müde war. Wenn er aber nicht müde war, so
mußte seine Mutter ihn darin in der Stube umherfahren, und da—
von konnte er nie genug bekommen.
Nun lag der kleine Häwelmann eines Nachts in seinem Rollen—
bett und konnte nicht einschlafen. Die Mutter aber schlief schon
lange neben ihm in ihrem großen Himmelbett. „Mutter,“ rief der
kleine Häwelmann, „ich will fahren!“ Und die Mutter langte im
Schlafe mit dem Arm aus dem Bett und rollte die kleine Bettstelle
hin und her. Und wenn ihr der Arm müde werden wollte, so
rief der kleine Häwelmann: „Mehr, mehr!“ und dann ging das
Rollen wieder von vorne an. Endlich aber schlief sie gänzlich ein,
und soviel Häwelmann auch schreien mochte, sie hörte es nicht, es
war rein vorbei.
Da dauerte es nicht lange, so sah der Mond in die Fenster—
scheiben, der gute alte Mond. Was er da sah, war so possierlich,
daß er sich erst mit seinem Pelzärmel über das Gesicht fuhr, um
sich die Augen auszuwischen. So etwas hatte der Mond all sein
Lebtag nicht gesehen. Da lag der kleine Häwelmann mit offenen
Augen in seinem Rollenbett und hielt das eine Beinchen wie einen
Mastbaum in die Höhe. Sein kleines Hemd hatte er ausgezogen