Prosa. — Pragmatische Geschichtsauffätze. 61
Ja! Gottes Flammen sind es; denn Einzelnes mag sich der Einzelne als
Verdienst anrechnen — aber dieses Erwachen der Völker, dies Erwachen nament⸗
lich in Rorddeutschland, in Preußen, dies krampfhafte letzte Anklammern in den
Geburtswehen an den, der allein mit seinem lebendigen Odem helfen konnte,
dies Ziehenn Gottes in den Seelen aller Völker, die seiner nicht vergaßen, der
piedererwachte Glaube an den Alten der Zeiten und an dessen ewige, makel⸗
lose Gerechgkeinn das ist Gottes Gnade, und Gottes ist der Sieg bei Leip⸗
zig, Golleß ist die Geburt des Geistes, in dem wir uns nun glücklich fühlen
und frei — des Geistes der Liebe wieder zwischen Fürsten und Völkern, des
rganischen Lebens in unsern Verhältnissen. Das Bewutßsein und das Ver⸗
dienst der Einzelnen hat diesen Akt der Wiedergeburt nur begleitet, aber von ihm
erst seine Weihe, seinen Werth erhalten, und keiner hat diesen Alt in seiner
Totalität durch eine Willensbewegung geschaffen; sie sind gezogen worden durch
leiden, durch Blut und Wunden, über Haufen von Leichen die Fürsten und
Völker Europa's — bis endlich das neugeborene Kind der Freiheit Deutsch⸗
lands von seinem ersten Schrei die vier Wände des alten Hauses der Ehren,
Germaniens, erdröhnen ließ. —
Man braucht, wenn man die Dinge so betrachtet, darum noch nicht zu
idealisieren, nicht die, welche bei Leipzig mpften, Mann für Mann zu Heiligen
zu machen. Jedes Hauptquartier ist ein Nest für Neid, Eifersucht und In—
lriguen — jedes Kriegsheer ein Sammelplatz, ein Herd auch für rohe Men—
schen, folglich für rohe Leidenschaften — und so war es auch damals — aber
das ist die edle Natur, das Gbitliche im Menschen, daß einer nur zu einem
Drittheil gut zu sein braucht, um der zwei Drittheile des Bösen in sich Herr
zu werden; denn alles Böse ist ein umständliches, weitläufiges Wesen, was den
Tadel und die Strafe doch immer scheut, was selten geradezu handeln, was sich
nie ungeniert mittheilen kann, was Rücksicht nehmen muß, sich verschleiern muß,
während das Rechte und Gute aus voller Brust redet, jubelt und straft. Des—
halb sind die zwei Drittheile Böses in jedem doch das Schwächere, weil sie ein
Ioliertes sind, und das eine Drittheil Gutes ein mächtiges, weil es die Hände
usstreckt nach beiden Seiten, sich miltheilt und Hülfe findet, Anklang findet, das
Maͤchtigste, das Bestimmende von außen wird und die vereinzelten bösen Ele—
mene erstickt und erdrückt, obwohl sie in jedem Einzelnen das Mächtigere sein
lönnen. Nur wo es ein Theil des Bösen zu einer beschönigenden Theorie bringt,
in deren Berechtigung, so lange sie nicht widerlegt ist, die Bösen keck auftreten,
als wären sie die Beglücker der Erde, nur so lange ist das Böse und die
Sunde eine Macht und nur dies Verhältnis der mechanischen Staatsweis⸗
heit Frankreichs, eine noch nicht widerlegle Theorie zu sein, machte Napoleon
so mãächtig, so frech — das Bewußtsein über dies Verhältnis oder die Ahnung
habon nachte ihn so wüthend gegen alles, was einem geistigen Angriffe so ähn—
lich fah — aber nun kamen die Tage, wo es ihm arer und Narer werden
mußie, daß seine Macht zu Ende gehe, daß das freie Wort ihn gefällt habe,
ihn, den Mächtigen bloß von dieser Welt, den Můchtigen bloß durch die sittliche
Verblendung der Völker, durch ihre frühere Abkehrung von dem Göttlichen in
rem Leben: diese Tage kamen mit Macht als Napoͤleon in Düben saß, un—
eutschlossen, trüb über sich brütend, allmaͤlig die sittliche Hexrschaft selbst über
seine nächste Umgebung, die zu murren, zu widersprechen anfieng verlierend —
hiefe Tage kamenß wo es einmal klar ward, daß die tiefsten Motive der Ge—
schichte cht in mechanischen Gewalten, sondern in den stillsten, geheimnisvollsten