121. Das Gottesgericht in Srankreich und die Wiederherstellung rc. 179
Hunger die Riesenfestung zur Übergabe zu zwingen, denn man hielt es für
unmöglich, daß für eine solche Menschenzahl, die täglich allein an Mehl mehr
als 8000 Centner brauchte, auch nur auf 2 Monate genügende Vorräte beschafft
wären. König Wilhelm also, der sein Hauptquartier in Versailles, der alten
Residenzstadt der französischen Könige, genommen hatte, traf vorläufig keine
Anstalten, den Kranz von Festungen, der Paris schützte, zu beschießen und zu
erstürmen; ihn leitete dabei der Gedanke, nach dem vielen vergossenen Blute seine
braven Krieger möglichst zu schonen. Da die Kanonen der Festungen aber eine
ungeheure Tragweite hatten, mußten die Deutschen in ziemlich weiter Entfernung
ihre Schanzen und Verhaue bauen; davon war denn die natürliche Folge, daß der
Ring, den unsere Vorposten um die riesige Stadt schlossen, eine Ausdehnung
von mindestens 10 Meilen hatte. Je dünner aber die Truppen auf diesen
gewaltigen Ring verteilt waren, desto wachsamer mußten sie gegen Ausfälle sein
und desto anstrengender ward der Dienst unserer Braven.
Inzwischen nahm die Belagerung der großen Festungen, die noch im Rücken
Unserer Armee lagen, ihren Fortgang. Am 23. September mußte sich Toul
ergeben, wodurch die Eisenbahnverbindung zwischen den vor Paris liegenden
Heeren und Deutschland frei ward, sodaß außer dem Proviant jetzt auch schweres
Geschütz nach Westen geschafft werden konnte. Größeren Jubel aber erregte es
in ganz Deutschland, als am 28. September nach tapferer Gegenwehr die Haupt¬
stadt des Elsaß, die ehemalige deutsche Reichsstadt Straßburg, von den
badischen Truppen unter dem Oberbefehl des tapferen Generals von Werder
genommen und so dem Vaterlande die Perle seiner Städte zurückgegeben ward.
Langwieriger war die Belagerung der früher noch nie bezwungenen Festung Metz,
in welcher noch immer Bazaine mit seinem ganzen Heere von Prinz Friedrich
Karl eingeschlossen war. Hier hatten unsere braven Krieger die schwerste Arbeit:
der Herbstregen goß täglich in Strömen herunter und weichte den lehmigen Boden
so auf, daß sie nirgends eine trockene Stätte fanden, fast ununterbrochen, Tag
und Nacht, mußten sie in durchnäßten Kleidern aushalten. Dennoch murrte
keiner, pflichtgetrcu harrten sie aus in der Wacht um Metz und schlugen wachsam
Und tapfer jeden Ausfall der Belagerten zurück. Endlich am 27. Oktober kapi¬
tulierte Bazaine; es gerieten dadurch, abgesehen von der ungeheuren Kriegs¬
beute, in deutsche Gefangenschaft 173 000 Mann, darunter 3 Marschälle und
über 6000 Offiziere. Das war wieder ein Waffcnerfolg, gegen dessen Größe
alle ähnlichen Ereignisse der Geschichte zurücktraten: die Welt staunte, König
Wilhelm beugte sich in Ehrfurcht vor dem Allmächtigen, der ihn gewürdigt hatte,
solche Thaten zum Heil Deutschlands zu vollbringen. Zugleich aber ließ er in
patriotischer Entschlossenheit bekannt machen, daß er diese altdeutsche Stadt, die
Anst an Frankreich verratene, als festes Bollwerk gegen den Westen mit deutscher
Hand festhalten werde.
Eine schöne Frucht dieses großen Sieges war es, daß die Belagerer, ihrer
harten Arbeit jetzt ledig, nun wieder ins Feld ziehen konnten, um zur großen
Entscheidung vor Paris mitzuwirken. Prinz Friedrich Karl rückte mit der
Zweiten Armee vor, um die Einschließungsarmee von Paris gegen Angriffe von
Süden her zu schützen; die erste Armee, die jetzt unter den Oberbefehl des
bewährten Generals v. Manteuffel gestellt ward, erhielt dieselbe Aufgabe im
Rorden der belagerten Festung. Ünd es war hohe Zeit, daß diese beiden Heere
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