Full text: (Für das 7. und 8. Schuljahr) (Abteilung 2, [Schülerband])

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liches Alter. — So viel Gotteskraft ergriff selbst den Gefangenwärter; 
er ließ die Brüder und Schwestern sich gegenseitig besuchen und stärken, 
ja, er selbst wurde gläubig. Ein alter Brauch war, daß man denjenigen, 
welche den wilden Tieren vorgeworfen werden sollten, den Tag vor ihrem 
Tode eine Mahlzeit bereitete. Noch einmal sollten sie vollkommene Frei— 
heit haben, sich des Lebens zu freuen und sich gütlich zu thun. Perpetua 
aber und ihre verurteilten Genossen — Männer und Frauen — feierten 
das Mahl der Liebe miteinander und mahnten das Volk, das herzuge— 
laufen war, an das Gericht Gottes und priesen ihre Fesseln. 
Endlich war der letzte Tag gekommen; aber nicht als ob es zum 
Tode ginge, sondern in den An — mit solcher Ruhe und Würde 
zogen sie aus dem Kerker ins Amphitheater, und wenn sie zitterten, so 
zitterten sie nicht vor Bangigkeit, sondern vor Wonne. Angekommen an 
der Pforte, sollten sie gezwungen werden, andere Kleider anzulegen: die 
Männer den roten Mantel der Priester des Saturn, die Frauen die 
weiße Binde der Priesterinnen der Ceres. Es war noch eine aus dem 
blutigen punischen Baalskultus erhaltene Sitte. Aber Perpetua trat da— 
gegen auf im Namen der übrigen. „Darum,“ sagte sie, „sind wir frei— 
willig hierhergekommen, damit wir unserer Freiheit nicht beraubt werden; 
darum geben wir unser Leben dahin, um dergleichen nicht thun zu müssen; 
das ist unser Vertrag mit euch.“ Der Tribun erkannte die Billigkeit der 
Forderung. 
Drinnen im Amphitheater wandten sich die verurteilten Männer 
noch einmal an das versammelte Volk und bedrohten es mit dem Gerichte 
Gottes. Dem Statthalter Hamilkar aber riefen sie fest und mutig zu: 
„Jetzt verurteilst du uns; dermaleinst aber wird dich Gott richten!“ Das 
gereizte Volk verlangte, daß sie gegeißelt würden. Es geschah; sie aber 
een nun auch dieses Teils der Leiden des Herrn gewürdigt worden 
zu sein. 
Man ließ auf die Männer Leoparden, Bären und wilde Eber los; 
Perpetua mit ihrer Freundin Felicitas sollte von einer wilden Kuh zer— 
rissen werden. Man hatte sie in ein netzförmiges Gewand gehüllt. Beim 
ersten Stoß des Tieres fiel sie alsbald rücklings nieder; wie sie aber ge— 
wahrte, daß ihr Kleid zerrissen sei, suchte sie sich wieder zu verhüllen. 
Dann flocht sie die Haare in einen Bund zusammen, weil es sich nicht 
ziemte, daß ein Märtyrer mit fliegenden Haaren litte, damit es nicht 
scheine, als ob er in seiner Ehre traure. Darauf erhob sie sich, trat zu 
ihrer Freundin und Leidensschwester Felicitas und reichte ihr die Hand 
zum Aufstehen, und also blieben beide ruhig stehen. Da sah sich selbst 
das rohe Volk bezwungen, und man führte Perpetua mit ihrer Freundin 
zurück. Draußen wurde sie von einem Katechumenen, Rustikus, der ihr 
treu anhing, in Empfang genommen, und es war ihr, als sei sie soeben 
erst aus tiefem Schlafe erwacht. Sie wandte ihre Augen nach allen 
Seiten um. „Wann,“ fragte fie dann zum großen Stamen aller An—⸗ 
wesenden, „wann werde ich denn einmal jener wilden Kuh ausgesetzt 
werden?“ Und als man ihr erwiderte, es sei bereits geschehen, wollte sie 
es nicht glauben, bis sie an ihrem Körper und Kleide die Spuren be— 
merkte. Nun ermahnte sie noch die Umstehenden: „Seid fest im Glauben, 
liebet einander, lasset euch durch unsere Leiden nicht einschüchtern!“ 
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