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kranken Manne das herzlichste Mitleid. Sie besuchte ihn alle Tage
und schenkte ihm jedesmal einen Groschen.
Eines Abends sprach aber der ehrliche Krieger sehr bekümmert:
„Liebes Kind, wie ich heute vernommen habe, sind deine Eltern arm.
Sag mir doch redlich, woher nimmst du so viel Geld? Denn ich
wollte lieber verhungern, als nur einen Pfennig annehmen, den ich
nicht mit gutem Gewissen haben könnte.“
„O,“ sagte Agathe, „seid ohne Sorgen! Das Geld ist recht—
mäßig erworben. Ich gehe in die nächste Stadt zur Schule. Auf
dem Wege dahin kommt man durch ein Wäldchen, wo es viele Erd—
beeren giebt. Da pflücke ich nun jedesmal ein Körblein davon, ver—
kaufe sie in der Stadt und bekomme dafür allemal zehn Pfennig.
Meine Eltern wissen das und haben nichts dagegen. Sie sagen öfter:
Es giebt noch viel ärmere Leute, als wir sind, und da müssen wir
ihnen so viel Gutes thun, wie es unsere Umstände nur erlauben.“
Dem alten Krieger standen die hellen Thränen in den Augen und
tröpfelten auf seinen Schnurrbart herab. „Gutes Kind,“ sprach er,
„Gott wolle dich und deine Eltern für diese menschenfreundlichen Ge
sinnungen segnen!“ — Fehlt es nur nicht an gutem Willen, so kann
man vielen Jammer stillen.
v. Schmid.
186. Ich mag nicht lügen.
Einem Knaben hatte jemand ein kleines Beil zum Spielen ge—
geben. Daran hatte er seine große Frende und hieb damit, wie es
eben traf; und es traf manchmal hin, wo es nicht gut war. Wie
der Kleine mit dem Beil auf der Schulter auch in den Garten kam,
dachte er: „Nun will ich ein tüchtiger Holzhauer sein,“ und fing an
und hieb seines Vaters schönstes Kirschbäumchen um.
Den andern Tag kam der Vater in den Garten, und als er
das schöne Bäumchen welk am Boden liegen sah, wurde er betrübt
und zornig. „Wer mir das gethan hat,“ rief er, „der soll mir's
schwer büßen!“ — Aber wer es gethan hatte, das wußte kein Mensch
— außer einem; der stand gerade hinter der Hecke, hörte, wie der
Vater so zürnte, und wurde feuerrot. „Es ist schlimm!“ dachte er,
„aber wenn ich's verschwiege, so wär's eine Lüge, und lügen mag ich
nicht.“ So trat er denn schnell in den Garten zum Vater und sagte
„Vater, ich habe das Bäumchen umgehauen; es war dumm von mir!“
Deutsche Jugend 1.