thumbs: Lesebuch für die ländlichen Fortbildungsschulen der Provinz Ostpreußen

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Arten zu dreschen war es in Israel auch üblich, die Garben in Schichten aus— 
zubreiten und dann vier bis fünf nebeneinander gespannte Rinder so lange 
darüber zu treiben, bis sie die Körner mit ihren Füßen ausgetreten und das 
Stroh zu Spreu zerkleinert hatten. Dabei durfte den Rindern das Maul 
nicht verbunden werden. Das Vieh sollte also von seiner Arbeit selber auch 
Lohn und Nutzen empfangen. Das Wort: „dem Ochsen das Maul ver— 
binden“ hat also den Sinn: ein Arbeiter wird für seine Arbeit nicht entlohnt, 
wie es sich gebührt. 
Von einem wagemutigen Menschen, der auf eine Sache gerade losgeht 
und keine Gefahr dabei scheut, sagen wir, „er fasse den Stier bei den Hörnern“. 
In den Hörnern ist der Sitz der Kraft des Tieres; wer den Stier bei den 
Hörnern hat, der hat ihn in seiner Gewalt. 
Die gebräuchlichsten, vom Kalb hergenommenen Redensarten gehen 
wiederum auf die Bibel zurück. Die eine ist: „Mit fremdem Kalbe pflügen“, 
die andere: „Das goldene Kalb anbeten“. Die erstere bedeutet: sich zunutze 
machen, was ein anderer gefunden hat, und bezieht sich auf die Erzählung 
in Richter 14, 18. Die zweite Redensart bedeutet: seinen Sinn auf Reichtum 
gerichtet haben, und ist gebildet nach Mos. 2, 32. Die Kinder Israel waren 
während der Abwesenheit des Moses von Gott abgefallen, und Aaron hatte 
ihnen aus ihrem Geschmeide einen Götzen, das goldene Kalb, gegoͤssen. In 
der biblischen Erzählung ist nur von der Anbetung des Götzen, nicht von der 
Verherrlichung des Goldes oder dem Streben nach dem Golde die Rede. 
Bei uns aber hat die Redensart „das goldene Kalb anbeten“ oder auch „ums 
goldene Kalb tanzen“ den Sinn angenommen: alles um des Goldes und 
Geldes willen tun, nur nach Gold trachten, nur den Reichtum ehren. 
Vom Kälblein wenden wir uns zur Kuh. Bei den Soldaten geht das 
Wort im Schwang: „den Kuhfuß tragen“. Kuhfuß ist hier die spöttische 
Bezeichnung für Gewehr. Aus einer Zeit, in welcher die Gewürze noch 
weit seltener und teurer waren als heutzutage, stammt das Wort: „Was 
nützt der Kuh Muskate?“ Die Kuh kennt den Wert der Muskatnuß nicht. 
Dieses Bild hat man dann übertragen auf menschliche Verhältnisse, um 
auszudrücken, es sei etwas viel zu gut für jemanden, zu hoch für ihn. 
Aus der Beobachtung des Tierlebens erklärt sich die Wendung: „Etwas 
ansehen wie die Kuh das neue Tor“, das heißt ganz erstaunt und verdutzt 
vor etwas Neuem dastehen und nicht wissen, was damit anfangen. Auch 
diese Wendung treffen wir schon bei Luther in seinem Brief vom Dolmetschen, 
wo es heißt: „Welche Buchstaben die Eselsköpfe ansehen wie die Kühe ein 
neu Tor.“ Ahnlich sagt er einmal in seinen Tischreden: „So stehet das arme 
Volk gleich wie eine Kuh.“ 
Eine große Anzahl Redensarten liefert das Schwein. Allerdings sind 
darunter viele, die nicht gerade schön sind; man denke zum Beispiel an sau— 
grob, saumäßig, Schweinekerl, Schweinepelz, sogar „Schweinehund“ Das 
Wort „Schwein haben“ wird damit in Zusammenhang gebracht, daß in alten 
Zeiten beim Wettspiel der Schlechteste den üblichen letzten Preis, nämlich 
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