304 Entwicklung der griechischen Religion. 
hatte, entweder als die Wohnung des höchsten Gottes oder als der höchste 
Gott selbst. Der Lebensodem, welcher von oben her Mensch und Tier- 
beseelt und alljährlich die Kraft, Fruchtbarkeit und Schönheit der Erde 
erneuert, wurde als der lebeuerzeugeude und lebenerhaltende Gott, der 
hinwiederum auch im Sturm, Blitz und Donner seine schreckliche Majestät 
offenbare, die Erde dagegen, in deren Schoß die Nahrung für das sterb¬ 
liche Geschlecht keimt und wächst und zu der alle Geschöpfe im Tode 
zurückkehren, als eine mütterliche, mit jenem Vater des Lebens ehelich ver¬ 
bundene Gottheit verehrt. Er hieß Zeus, sie nannte man Hera. Aber 
mich die Sonne, den Mond, das Wasser, das Feuer staunten jene Ge¬ 
schlechter der Griechen als göttliche Gewalten an. Dazu kam die Ver¬ 
ehrung der verstorbenen Stammfürsten, großer Herrscher, berühmter Wohl¬ 
thäter der Menschheit. Anch Kräfte des Menschengeistes, wie sie durch 
das ganze Geschlecht verbreitet gefunden werden, oder anch besondere Anf- 
regnngen der Menschenseele erschienen dem nach Gott suchenden uud fra¬ 
genden Sinne als etwas Göttliches. Und während in den frühesten Zei¬ 
ten die eine Gottheit da, die andere dort, nicht aber alle gleichermaßen 
im ganzen Lande verehrt wurden, machte der wachsende Verkehr der ver¬ 
schiedenen griechischen Stämme unter sich und mit andern Völkerschaften, 
daß die einzelnen Götterdienste sich immer weiter und zwar in einer gleich¬ 
mäßigen Auffassung verbreiteten und durch die Annahme fremder Gottes¬ 
dienste zn dem herkömmlichen eigenen die Zahl der Gottheiten überall 
außerordentlich anwuchs. Als die vornehmsten Gottheiten, welche allen 
Griechen gemeinsam waren, galten sechs männliche und ebenso viele weib¬ 
liche: Zeus, der Regent der Welt; Poseidon, sein Bruder, der Herr des 
t ' Tz- v, Meeres; Apollo oder Phöbus, der Sonnengott und zugleich Gott der 
(ItpdfrC') Weissagung, der Dichtkunst, der Heilkunst; Hermes, Förderer der Frucht¬ 
barkeit bei den Herden — Bote der Götter, Erfinder aller Listen und Wissen¬ 
schaften — Führer der Seelen aus der Unterwelt ans Licht, zur Geburt in 
menschlichen Leibern, und wieder Führer der Seelen aus der Oberwelt 
ius Totenreich; Ares, der Gott der wilden Kriegslust; Hephästus, Gott 
der mit Hilfe des Feuers arbeitenden Kunst, Sohn des Zeus und der 
Hera. Diese selbst, des obersten Gottes Gattin und Schwester, ist die 
Göttin der Ehe; Pallas Athene die Göttin der Weisheit und der weib¬ 
lichen Kunstfertigkeiten, zugleich des ernsten, gesetzten Kriegsmutes; Heftia 
die Beschützerin des häuslichen Herdes, um dessen Feuer die Familien¬ 
glieder sich sammeln, und ebendamit die Göttin der friedlich in Hans 
. \ und Staat vereinten menschlichen Gesellschaft; Aphrodite als das Urbild der 
Oixtä
	        
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