Rückzug aus Rußland 1812. 91
die erloschenen Feuer. Man schlug sich heißhungrig um ein
gefallenes Pferd, sie mordeten sich um ein Stück Brot;
wahnsinnig stürzte sich mancher mit gräßlichem Gelächter
ins Feuer. Der Jammer und das Elend waren unbe¬
schreiblich.
So kam man endlich am 25. November zu der Bere-
siua, einem Nebenfluß des Dnepr, noch ungefähr 12 000
waffenfähige Soldaten. Es war Tauwetter eingetreten, und
der Fluß ging stark mit Eis. Im Angesichte des Feindes
wurden unter großen Mühen zwei Brücken geschlagen und
der Rest der waffenfähigen Mannschaft in Ordnung hinüber¬
geführt. Aber als nun der Troß von Nachzüglern sich auf
die Brücken drängte, da fuhren die Kugeln der feindlichen
Geschütze in die dichten Masten, und die Brücken brachen
mehrmals. Eine Menge der Unglücklichen fand in den
Fluten den Tod, viele wurden bei dem entsetzlichen Getümmel
erdrückt und zertreten. Einige Regimenter, welche die Nachhut
bildeten, und alles, was noch diesseits des Flusses war,
fielen in die Hände der Feinde.
Nach diesem entsetzlichen Übergang über die Beresina
(26.-29. November) hatte Napoleon noch ungefähr 8000
kampffähige Soldaten bei sich. Diese aber gerieten in den
nächsten Tagen wieder in die furchtbarste Not. Denn es
trat wieder eine strenge Kälte ein, welche in der ersten
Woche des Dezember bis auf 27 Grad stieg. Auf der regel¬
losen Flucht erlagen die meisten; nur wenige kamen über die
russische Grenze. Der letzte, welcher den feindlichen Boden
verließ, war der Marschall Ney, „der Tapferste der Ta¬
pferen", der mit dem Reste der Mutigen und Tapferen den
Rückzug gedeckt hatte.
Napoleon verließ am 5. Dezember die Reste seiner
Truppen und floh in einem Schlitten der Nachricht von
seinem Unglück voraus, um wenigstens seine Person zu retten
und unangefochten durch Deutschland zu kommen. Als er
in Frankreich und in Sicherheit war, erließ er ein Armee¬
bulletin, durch welches erst die erstaunte Welt das ganze
Unglück erfuhr; denn vorher hatte man sie durch falsche