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Zu den Handelsverträgen.
und damit ein Werk, das für die finanzielle, wirtschaftliche und
politische Zukunft des Reiches von fundamentaler Bedeutung ist,
einem glücklichen Abschluß entgegenführen werden. Über die all—
gemeinen wirtschaftspolitischen Ziele, die wir bei der Erneuerung
unserer Handelsbeziehungen zum Auslande verfolgen, habe ich mich
mehr als einmal eingehend von dieser Stelle ausgesprochen, und
ich möchte mich heule auf die nachstehenden Gesichtspunkte be—
schränken.
1. Wer auf die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands zurück—
blickt, wird sich der Überzeugung nicht verschließen können, daß
Industrie und Handel während der letzten Jahrzehnte an Umfang
und an Bedeutung sehr erheblich zugenommen haben. Unter dem
Schutz des Tarifs von 1879 und seiner Ergänzungen erstarkte all—
mählich die deutsche Industrie und nahm ihre Entwicklung zum
Großbetriebe. Da trat in den 80er Jahren bei den Handelsstaäten
das Streben hervor, sich mit hohen Zollschranken abzuschließen und
der deutschen Industrie den Absatz der überflüssigen Erzeugnisse in
das Ausland zu erschweren. Aber diese uns drohende Gefahr des
Erstickens in Überproduktion wurde anfangs der Wer Jahre durch
den Abschluß der Handelsverträge im wesentlichen beschworen, und
es wurde durch jene Handelsverträge eine feste Grundlage für den
internationalen Warenaustausch auf eine längere Reihe von Jahren
geschaffen. Seitdem nahmen Industrie und Handel bei uns einen
glänzenden Aufschwung, der 1896 einsetzte und bis um die Mitte
des Jahres 1900 dauerte. Von diesem Zeitpunkte an flaute die
wirtschaftliche Aufwärtsbewegung allerdings ab, Handel und Wandel
gerieten ins Stocken, es zeigten sich sowohl auf dem inneren Markte
wie in den auswärtigen Absatzverhältnissen gewisse Schwierigkeiten.
Immerhin vermag dieser teilweise Umschlag an dem gesamten Bilde
einer Periode des Aufblühens von Handel und Wandel unter der
Herrschaft der Handelsverträge nichts Wesentliches zu ändern. Auch
heute deuten die Einnahmen aus dem Eisenbahnverkehr darauf hin,
daß diese Geschäftsstockungen im großen und ganzen überwunden
in und Handel und Industrie wieder unter günstigeren Auspizien
arbeiten.
2. Dagegen ist die Lage unserer heimischen Landwirtschaft,
welcher durch jene Handelsverträge ein großer Teil ihres Schutzes
genommen war, infolge des fortgesetzt unbefriedigenden Staͤndes
der Getreidepreise, infolge des Hinzütretens anderer ungünstiger
Produktionsbedingungen eine immer kritischere geworden. Die Er—
gebnisse der letzten Volkszählung lassen deutlich die Verschiebungen
erkennen, welche sich innerhalb der Bevölkerung des Deutschen
Reiches zu ungunsten der Landwirtschaft während der letzten Jahr—
zehnte vollzogen haben. Im Jahre 1871 waren 64 Prozent der
Bevölkerung in ländlichen Gemeinden, d. h. in Gemeinden bis zu
2000 Einwohnern, 1895 hielten Stadt und Land sich ungefähr das