fullscreen: Norddeutsches Lesebuch

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Der freche Friedensbrecher Napoleon, der unserem König die schmählichste Demü— 
thigung angesonnen hatte, war nun mit seinem ganzen Heer auf Gnade und Un— 
gnade in die Hand des Siegers gegeben. Aber wie fern von aller Ueberhebung 
König Wilhelm war, mögen seine eigenen Worte zeigen Nachdem er der Köni⸗ 
gin schon am 2. September den beispiellosen Triumph in einem Telegramm ange⸗ 
zeigt hatte, das mit den christlich-demüthigen Worten schloß: „Welch eine Wen— 
dung durch Gottes Führung!“ fandte er ihr am folgenden Tage von Vendresse 
aus einen umständlichen brieflichen Bericht, aus welchem die nachstehenden bezeich⸗ 
nenden Sätze hervorzuheben sind 
„Wenn ich mir denke, daß nach einem großen, glücklichen Kriege ich während 
meiner Regierung nichts Ruhmreicheres mehr erwarten konnte und ich nun diesen 
weltgeschichtlichen Alt erfolgt sehe, so beuge ich mich vor Gott, der allein mich, 
mein Heer und meine Mitverbündeten ausersehen hat, das Geschehene zu vollbrin⸗ 
gen, und uns zu Werkzeugen seines Willens bestellt hat. Nur in diesem Sinne 
vermag ich das Werk aufzufassen, um in Demuth Gottes Führung und seine 
Gnade zu preisen.“ 
Ich bevollmächtigte Moltke zum Unterhändler und gab Bismarck auf, zu— 
rückzubleiben, falls politische Fragen zur Sprache kämen; ritk dann zu meinem 
Wagen und fuhr hierher, auf der Straße überall von stürmischen Hurrahs der 
heranziehenden Truppen begrüßt, die überall die Volkshymne anstimmten. Es war 
ergreifend! Alles hatte Lichter angezündet, sodaß man zeitweise in einer impro⸗ 
visirten Illumination fuhr. Um 11 Uhr war ich hier und trank mt meiner 
Umgebung auf das Wohl der Armee, die solches Ereigniß erkämpfte. — Da ich 
am Morgen des 2. noch keine Meldung von Moltke über die Kapitulationsver⸗ 
handlungen erhalten hatte, die in Donchery stattfinden sollten, so fuhr ich verab⸗ 
redetermaßen nach dem Schlachtfeld um 8 Uhr früh und begegnete Moltke, der 
mir entgegenkam um meine Einwilligung zuͤr vorgeschlagenen Kapitulation zu 
erhalten, und mir zugleich anzeigte, daß der Kaiser früh 5 Uhr Sedan verlassen 
habe und auch nach Donchery gekommen sei. Da derselbe mich zu sprechen 
wünschte und sich in der Nähe ein Schlößchen mit Park befand, so wählte ich 
dies zur Begegnung. Um 10 Uhr kam ich auf der Höhe vor Sedan an; um 
12 Uhr erschienen Moltke und Bismarc mit der vollzogenen Kapitulationsurkumde; 
um 1 Uhr setzte ich mich mit Fritz in Bewegung, von der Kavalleriestabswache 
begleitet. Ich stieg vor dem Schlößchen ab, wo der Kaiser mir entgegentamn da 
Besuch währte eine Viertelstunde; wir waren beide sehr bewegt über dieses Wie⸗ 
dersehen. Was ich alles empfand, nachdem ich noch vor drei Jahren Napoleon 
auf dem Gipfel seiner Macht gesehen hatte, kann ich nicht beschreiben. 
Nach dieser Begegnung beritt ich von 211 —71 Uhr die ganze Armee vor 
Sedan. Der Empfang der Truppen, das Wiebersehen der stark milgenommenen 
Garden — das alles kann ich Dir heute nicht beschreiben; ich war lief ergriffen 
von so vielen Beweisen der Liebe und Hingebung. 
Nun lebe wohl mit bewegtem Herzen am Schlusse eines solchen Briefes. 
Wilhelm.“ 
Durch die Kapitulation von Sedan fielen in die Hände der Deutschen 
108,000 Gefangene, darunter der Kaiser Napoleon, der verwundete Marschall 
Mac Mahon und 4000 Offiziere; ferner 400 Feldgeschütze, 160 Festungskanonen 
und 10,000 Pferde. Der kriegerische Triumph war äin beispielloser, dabei aber
	        
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