Metadata: Deutsches Lesebuch für die Bedürfnisse katholischer Volksschulen

28. Parabel. 
41. Er spricht mit höhnischem Lachen: „Du hältst mich für ein Kind! 
Was sehend auf einem Auge, macht nicht auf dem andern mich blind; 
bestreiche mein rechtes Auge, wie du das linke gethan, 
und wisse, daß, falls du mich reizest, Gewalt ich brauchen kann.“ 
42. Und wie er noch der Drohung die That hinzugefügt, 
da hat der Derwisch endlich stillschweigend ihm genügt: 
Er nimmt zur Hand die Salbe, sein rechtes Aug' er bestreicht — 
die Nacht ist angebrochen, die keinem Morgen weicht! 
43. „O Derwisch, arger Derwisch, du doch die Wahrheit sprachst; 
nun heile, kenntnisreicher, was selber du verbrachst.“ 
„Ich habe nichts verbrochen, dir ward, was du gewollt, 
du stehst in Allahs Händen, der alle Schulden zollt.“ 
44. Er fleht und schreit vergebens und wälzet sich im Staub; 
der Derwisch, abgewendet, bleibt seinen Klagen taub; 
der sammelt die achtzig Kamele und gen Balsora treibt, 
derweil Abdallah verzweifelnd am Quell der Wüste verbleibt. 
45. Die nicht er schaut, die Sonne, vollbringet ihren Lauf, 
sie ging am andern Morgen, am dritten wieder auf, 
noch lag er da verschmachtend; ein Kaufmann endlich kam, 
der nach Bagdad aus Mitleid den blinden Bettler nahm. 
Chamisso. 
28. *Parabel. 
Es ging ein Mann im Syrerland, 
führt' ein Kamel am Halfterband. 
Das Tier mit grimmigen Gebärden 
urplötzlich anfing scheu zu werden 
und that so ganz entsetzlich schnaufen, 
der Führer vor ihm mußt' entlaufen. 
Er lief und einen Brunnen sah 
von ungefähr am Wege da. 
Das Tier hört' er im Rücken schnauben, 
das mußt' ihm die Besinnung rauben. 
Er in den Schacht des Brunnens kroch, 
er stürzte nicht, er schwebte noch. 
Gewachsen war ein Brombeerstrauch 
aus des geborstnen Brunnens Bauch, 
daran der Mann sich fest that klammern 
und seinen Zustand drauf bejammern. 
Er blickte in die Höh' und sah 
dort das Kamelhaupt furchtbar nah, 
das ihn wollt' oben fassen wieder. 
Dann blickt' er in den Brunnen nieder; 
da sah am Grund er einen Drachen 
aufgähnen mit entsperrtem Rachen, 
der drunten ihn verschlingen wollte, 
wenn er hinunter fallen sollte. 
So schwebend in der beiden Mitte, 
da sah der Arme noch das dritte. 
Wo in die Mauerspalte ging 
des Sträuchleins Wurzel, dran er hing, 
da sah er still ein Mäusepaar; 
schwarz eine, weiß die andre war. 
Er sah die schwarze mit der weißen 
abwechselnd an der Wurzel beißen. 
Sie nagten, zausten, gruben, wühlten, 
die Erd' ab von der Wurzel spülten; 
und wie sie rieselnd niederrann, 
der Drach' im Grund aufblickte dann, 
zu sehn, wie bald mit seiner Bürde 
der Strauch entwurzelt fallen würde. 
Der Mann, in Angst und Furcht und Not, 
umstellt, umlagert und umdroht, 
im Stand des jammerhaften Schwebens, 
sah sich nach Rettung um vergebens. 
Und da er also um sich blickte, 
sah er ein Zweiglein, welches nickte 
vom Brombeerstrauch mit reifen Beeren; 
da konnt' er doch der Lust nicht wehren. 
Er sah nicht des Kameles Wut 
und nicht den Drachen in der Flut 
und nicht der Mäuse Tückespiel, 
als ihm die Beer' ins Auge fiel. 
Er ließ das Tier von oben rauschen 
und unter sich den Drachen lauschen
	        
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