fullscreen: Die Geschichte des Mittelalters (Bd. 2)

74 Erster Zeitraum des Mittetatters: 476—752. A. Das Abendland. 
1) Tolosanisches Reich der Westgothen 419—531. 
Müde, den Römern länger als Werkzeuge der Vernichtung germa¬ 
nischer Völkerstämme zu dienen, vertauschten nun die Westgothen das 
Schwert mit der Pflugschar und suchten durch wohlgeordnete Einrich¬ 
tungen die Blüthe der ihnen angewiesenen Wohnsitze zu befördern. Nach 
Wallia's Tode erhoben sie den T h eo dorich, als den durch Eigenschaf¬ 
ten des Körpers am meisten ausgezeichneten Mann, auf den Thron. 
Dieser ward nach einer Reihe von Kämpfen mit den Römern deren 
Bundesgenosse, als Attila mit 500,000 Mann in Gallien eingefallen 
und bis Orleans vorgedrungen war (s. S. 52 f.). In der Schlacht 
auf den catalaunischen Gefilden, siel der König Theodorich, vom Unge¬ 
stüm seines Muthcs fortgerissen, einer der Ersten und sein Leichnam 
ward unter dem dichtesten Haufen der Erschlagenen aufgefunden. Ihm 
folgten nach einander 3 seiner Söhne Thorismund (451—453), 
Theodorich (453—466) und Eurich (466—484). Der zweite, 
der durch Brudermord auf den Thron gelangt war, besiegte und tödtete 
auch seinen Schwager Rechiar, den König der im Nordwesten Spaniens 
angesiedelten Sueven, gestattete ihnen jedoch, sich aus ihrer Mitte einen 
neuen König zu wählen. Er verlor den blutbefleckten Thron durch ein 
gleiches Verbrechen, indem er von der Hand seines herrschsüchtigen Bru¬ 
ders Eurich fiel. 
Dieser benutzte den schwankenden Zustand des weströmischen Reiches, 
um nicht nur in Gallien sein Reich bis zur Loire und Rhone auszu- 
dehneu, sondern auch den Trümmern der römischen Herrschaft in Spa¬ 
nien ein Ende zu machen. Nur in Gallieien und Lusitanien erhielt sich 
noch ein kleines Reich der Sueven. Zu derselben Zeit also, da das 
abendländische Reich durch Odoaker sein Ende erreicht hatte, erhob sich 
das westgothische in seiner größten Ausdehnung. Große Ströme und 
die Ufer des Weltmeeres bildeten die Grenzen desselben. Aber Eurich, 
nicht zufrieden mit den gemachten Eroberungen, richtete seinen Blick auf 
die jenseits der Rhone gelegenen Länder. Er überschritt die Rhone 
und nahm Arles und Massilia ein, und verband diese Städte mit sei¬ 
nem Reiche, so daß es sich jetzt im Osten bis an die ligurischen Alpen 
erstreckte. 
Doch nicht bloß durch Eroberungen glänzte Eurich, auch durch Künste 
des Friedens suchte er sein Volk zu beglücken. Da er erkannte, daß 
durch wohlgeordnete Gesetze das Band der bürgerlichen Gesellschaft am 
festesten geknüpft werde, ein schwankender Zustand des Rechtes aber die 
Mutter der Willkür und der Unsicherheit des Eigenthums sei, so be¬ 
fahl er, die bisher unter den Gothen beobachteten Gebräuche, wonach 
sie ihre Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden pflegten, durch schriftliches Auf¬ 
zeichnen fester zu bestimmen. Noch durch eine andere Maßregel suchte 
Eurich seinen Ansichten gemäß das Wohl seiner Unterthanen zu beför¬ 
dern. Da er einen festen, gleichmäßigen Zustand der bürgerlichen Rechts¬ 
verfassung für eine Stütze des Staates erkannt hatte, so glaubte er
	        
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