Full text: [Teil 4 = Kl. 5 u. 4, [Schülerbd.]] (Teil 4 = Kl. 5 u. 4, [Schülerbd.])

Maren erschrak. „Fürchte dich nicht," sagte er, „ich trage dich! ich 
habe einen sicheren Fuß." Dann hob er das schlanke Mädchen auf seine 
breite Schulter; und als sie die Arme fest um seinen Hals gelegt hatte, 
stieg er behutsam mit ihr iu die Tiefe. Dichte Finsternis umgab sie; 
aber Maren atmete doch auf, während sie so Stufe um Stufe wie iu 
einem gewundenen Schneckengange hinabgetragen wurde; denn es war kühl 
hier im Innern der Erde. Kein Laut von oben drang zu ihnen herab: 
nur einmal hörten sie dumpf aus der Ferne die unterirdischen Wasser 
brausen, die vergeblich zum Lichte emporarbeiteten. 
So stiegen sie tiefer und tiefer. Endlich spürten sie wieder den 
Schimmer des Sonnenlichts unter sich, das mit jedem Tritte leuchtender 
wurde; zugleich aber drang auch eine erstickende Hitze zu ihnen herauf. 
Als sie von der untersten Stufe ins Freie traten, sahen sie eine gänzlich 
unbekannte Gegend vor sich. Maren sah befremdet umher. „Die Sonne 
scheint aber doch dieselbe zu sein!" sagte sie endlich. „Kälter ist sie 
wenigstens nicht," meinte Andrees, indem er das Mädchen zur Erde hob. 
Von dem Platze, wo sie sich befanden, auf einem breiten Steindamm, 
lief eine Allee von alten Weiden in die Ferne hinaus. Sie bedachten 
sich nicht lange, sondern gingen, als sei ihnen der Weg gewiesen, zwischen 
den Reihen der Bäume entlang. Wenn sie nach der einen oder andern 
Seite blickten, so sahen sie in ein ödes, unabsehbares Tiefland, das so 
von allerart Rinnen und Vertiefungen zerrissen war, als bestehe es nur 
aus einem endlosen Gewirre verlassener See- und Strombetten. Dies 
schien auch dadurch bestätigt zu werden, daß ein beklemmender Dunst, wie 
von vertrocknetem Schilf, die Luft erfüllte. Dabei lagerte zwischen den 
Schatten der einzeln stehenden Bäume eine solche Glut, daß es den beiden 
Wanderern war, als sähen sie kleine weiße Flammen über den staubigen 
Weg dahinfliegen. Andrees mußte an die Flocken aus dem Feuerbarte 
des Kobolds denken. Einmal war es ihm sogar, als sähe er zwei dunkle 
Augenringe in dem grellen Sonnenschein; dann wieder glaubte er deutlich 
neben sich das tolle Springen der kleinen Spindelbeine zu hören. Bald 
war es links, bald rechts an seiner Seite. Wenn er sich aber wandte, 
vermochte er nichts zu sehen; nur die glutheiße Luft Zitterte flirrend und 
blendend vor seinen Augen. „Ja," dachte er, indem er des Mädchens 
Hand erfaßte und beide mühsam vorwärts schritten, „sauer machst du's 
uns; aber recht behältst du heute uicht!" 
Weiter und weiter gingen sie, der eine nur auf das immer schwerere 
Atmen des andern hörend. Der einförmige Weg schien kein Ende zu 
nehmen; neben ihnen unaufhörlich die grauen, halb entblätterten Weiden, 
seitwärts hüben und drüben unter ihnen die unheimlich dunstende Niederung. 
Plötzlich blieb Maren stehen und lehnte sich mit geschlossenen Augen 
an den Stamm einer Weide. „Ich kann nicht weiter," murmelte sie; 
„die Luft ist lauter Feuer."
	        
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