§ 170. Der Ausbau des Reiches unter Kaiser Wilhelm I.
135
sich in Feindschaft gegen das Deutschtum; ihr wenig verschleiertes Ziel
war die Herstellung eines polmsNen Natwnülstaates, eines Staates, der
sich früher nicht als lebensfähig erwiesen hatte und ohne das Ein-
greifen Friedrichs des Großen ganz der russischen Knute anheimgefallen
wäre. Die Demokratisierung der deutschen Verfassung gab ihnen die
Mittel in die Hand; die polnischen Volksvertreter verfolgten nur national-
polnische Interessen. Auch die Wanderungsverhältnisse waren dem
Polentum günstig. Die Entwicklung 5er Industrie brachte" es mit sich,
daß weit mehr Menschen aus den östlichen Provinzen nach dem Westen
zogen als umgekehrt. Der Ersatz für die Abgewanderten bestand fast nur
aus russischen und galizischen Polen, während Millionen von Deutschen
sich in Amerika ansiedelten, für die in polnischen Gebieten wohlfeiles Land
genug zu haben gewesen wäre. Um das Deutschtum in Posen und West-
Preußen zu stärken, entschloß sich Bismarck 1886 zu Maßregeln gegen das 1886.
vordringende Polentum, die er gegen den Widerstand allzu gerechter deutscher
Volksvertreter durchsetzte. Fremdländische Polen wurden ausgewiesen und
weiterer Zuzug verboten. Einer Ansiedlungskommission mit einem
Kapital von zunächst nur 100 Millionen Mark siel die Aufgabe zu, Land-
güter anzukaufen und in Stellen von mittlerem und kleinem Umfang für
deutsche Bauern und Arbeiter zu zerlegen. Doch genügten diese Maßregeln
nicht. Die Polen hielten zusammen und gründeten Kassen, die ebenfalls
Land ankauften und es^polnisch besiedelten. Den Polen mit schärferen
Mitteln entgegenzutreten wurde Bismarck durch seinen 1890 erfolgten Rück-
tritt verhindert. Das Deutschtum findet kräftige Unterstützung an dem 1891
gegründeten, über das ganze Reich verbreiteten Ostmarkenverein.
5. Erleichterungen des Handels und Verkehrs. Unter den Wirtschaft-
liehen Aufgaben, die sich dem jungen Reiche boten, war die dringendste
die Vereinheitlichung der Münzen, Maße und Gewichte. .Für die
Maße und Gewichte nahm das Reich das metrische System an, das
für wissenschaftliche Bestimmungen überall und im Handel in den meisten
Ländern herrschte. Im Geldverkehr verschwanden vor der heutigen Mark
mit ihrer Zehnteilung alle Gulden, Kreuzer, Taler, Groschen, Schillinge usw.;
im Kleinhandel freilich rechnete man vielfach noch lange nach den alten,
nicht mehr vorhandenen Münzen weiter. Die in den übrigen Großstaaten
geltende Goldwährung (das Gold bildet die Werteinheit) wurde auch
für Deutschland maßgebend.
Zur völligen zollpolitischen Einigung fehlte noch der Anschluß von
Hamburg und Bremen an das Zollgebiet. Der Reichskanzler erreichte
ihn unter Belassung eines für den Großhandel der beiden Städte not-
wendigen Freihafengebiets.
Im Verkehrswesen gelang eine völlige Einigung nicht. Die Einzel-
staaten konnten sich mik dem"GKänken, Sias gesamte (SjJenbahnwesen
zur Reichssache zu machen, nicht befreunden. Der führende Staat mußte