Full text: Lesebuch in Lebensbildern für Schulen (3)

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menschenleere Wüste, in welcher es keine Bahn und kein Ziel, keine 
Spur von Menschen und keinen Wechsel der Dinge, nur Morgen und 
Mittag, Abend und Nacht gibt, wenn nicht ein Sturm auf einmal 
den Schauplatz ändert. Man steht auf, und indem man sich ankleidet 
und frühstückt, hat man mehrere Meilen zurückgelegt; man ißt ru Mit¬ 
tag, zu Abend, man geht zu Bette und schläft und reiset und reifet 
und wird's nicht gewahr. Der Weg ist nicht Eisenbahn, nicht Fels, 
noch Eis, sondern Wasser, ein trüglicbes Element. Wegweiser leuch¬ 
ten am Himmel, die Rosse sind unsichtbar, und doch geht es sausend, 
wie ein Sturm fort. Mau hat einige hundert Reisegefährten, darun¬ 
ter auch vierfüßige, und Alle sind Hausgenossen und Keiner kann das 
Haus verlassen, Keiner sich trennen, Keiner dem Andern aus dem 
Wege gehen. 
Die Morgen und Abende, ja die Tage, bis in die Gegend von 
Trafalgar, wo wir des großen Helden Nelson gedachten, der hier 
mit 15,000 Todten umgeben fiel, waren ziemlich kalt. Bald darauf 
überfiel uns eine Windstille, welche mehrere Tage anhielt und unsere 
Geduld auf eine schwere Probe setzte. Unbeschreiblich groß war die 
Zahl und Mannigfaltigkeit von Fischen, die sich aus der Oberfläche 
versammelten. Ihr Spiel und ihre gegenseitige Verfolgung gewährten 
eine angenehme Unterhaltung. Ich sah, um nur Eins anzuführen, 
wie ein Delphin einen fliegenden Fisch verfolgte, wie dieser,' um sich 
zu retten, aufflog, und jener ihm, während seines Aufflugs, auf hun¬ 
dert Schritte nachschwamm, ihn beim Herabfallen mit hoch aus dem 
Wasser gehobenen Rachen auffing, und wie endlich in diesem Augen¬ 
blick ein dritter Fisch den Delphin überraschte und sammt seiner Beute 
verschlang. 
Ich legte mich Abends in meine Hängematte. Da ich aber nicht 
einschlafen konnte, so bestieg ich wieder das Verdeck, spazierte hier nach 
Seemanns-Gebrauch auf und ab und schwatzte mit den Leuten auf der 
Wache. So kam die Mitternacht heran. Die Wache wurde abgelöset. 
Als die neue Mannschaft sah, daß sich kein Wind regte, setzte sich 
Einer nach dem Andern hin, um den unterbrochenen Schlaf auf dem 
Verdecke fortzusetzen. Gegen 2 Uhr nach Mitternacht glaubte ich ein 
Geräusch zu hören, das vom Rudern eines Fahrzeuges herzurühren 
schien. Ich ergriff den Nachtgucker und erblickte wirklich ein Fahrzeug, 
welches aus allen Kräften auf uns zu ruderte. Ich winkte nun dem 
wachehabenden Offizier, und da dieser das Fahrzeug für ein afrikani¬ 
sches Raubschiff erkannte, so wurde augenblicklich Lärm gemacht. Auf 
den Ruf; „Alle Mann hoch!" war sogleich die ganze Mannschaft auf 
dem Verdecke versammelt. Man suchte alle Flinten, Pistolen, Säbel 
und Piken hervor; die Kanonen wurden mit Kugeln, mit Glas, Nä¬ 
geln und gehacktem Blei geladen. 
Während der Zeit war das Fahrzeug sehr nahe gekommen. Man 
nef chm mittels des Sprachrohrs zu, um eine Erklärung über seine 
Anficht zu erhalten. Es antwortete mit einem Kanonenschuß, der das 
Schiff jedoch fehlte. Wir konnten ihn nicht gleich erwidern, weil das 
Fahrzeug von vorn kam, wo man keine Kanonen auf dasselbe richten
	        
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