Object: Lehrbuch der allgemeinen Geographie

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Massen gerettet hatte; die kleinern Steine klapperten schon, 
und wir, ohne zu bedenken, daß wir abermals eine Pause 
vor uns hatten, froh, die Gefahr überstanden zu haben, 
kamen mit der noch rieselnden Asche am Fuße des Kegels 
an, Hüte und Schultern genugsam eingeäschert." 
„Von Tischbein aufs freundlichste empfangen, gescholten 
und erquickt, konnte ich nun den altern und neuern Laven 
eine besondere Aufmerksamkeit widmen. Der betagte Führer 
wußte genau die Jahrgange zu bezeichnen. Aeltere waren 
schon mit Asche bedeckt und ausgeglichen, neuere, besonders 
die langsam geflossenen, boten einen seltsamen Anblick; denn 
indem sie, fortschleichend, die auf ihrer Oberflache erstarrten 
Massen eine Zeit lang mit sich hinschleppen, so muß es doch 
begegnen, daß diese von Zeit zu Zeit stocken, aber, von den 
Glutströmen noch fortbewegt, übereinandergeschoben, wun¬ 
derbar zackig erstarrt verharren, seltsamer als im ähnlichen 
Falle die über einander getriebenen Eisschollen. Unter diesem 
geschmolzenen wüsten Wesen fanden sich auch große Blöcke, 
welche, angeschlagen, auf dem frischen Bruch einer Urgebirgs- 
art völlig ähnlich sehen. Die Führer behaupteten, es seien 
alte Laven des tiefsten Grundes, welche der Berg manchmal 
auswerfe." 
Wenn die Beschreibung des Vesuvausbruches von 1794 
das entsetzlich Furchtbare vulkanischer Gewalten vor die Seele 
bringt, so stehe hier noch ein meisterhaftes Gemälde des 
Vesuvs, welches Goethe, wie jener Engländer, nur in mehr 
ruhiger Zeit, von Neapel aus entwarf. Er befand sich, da 
die Dämmerung schon eingebrochen, in einem Zimmer mit 
verschlossenen Laden. Da wird ein Laden aufgestoßen, und 
„ich erblickte," erzählt der Dichter ^), „was man in seinem 
Leben nur einmal sieht. Wir standen an einem Fenster des 
obern Geschosses, der Vesuv gerade vor uns; die herab¬ 
fließende Lava, deren Flamme bei längst niedergegangener 
Sonne schon deutlich glühte und ihren begleitenden Rauch 
schon zu vergolden anfing; der Berg gewaltsam tobend, über 
ihm eine ungeheuere, feststehende Dampfwolke, ihre verschie¬ 
denen Massen bei jedem Auswurf blitzartig gesondert und 
körperhaft erleuchtet. Von da herab bis gegen das Meer ein 
Streif von Gluten und glühenden Dünsten; übrigens Meer 
und Erde, Fels und Wachsthum deutlich in der Abenddäm¬ 
merung, klar friedlich, in einer zauberhaften Ruhe. Dies 
Alles mit einem Blicke zu übersehen und den hinter dem 
Bergrücken hervortretenden Vollmond als die Erfüllung des 
6) Goethe a. a. O. S. 279 fg.
	        
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