Full text: Dr. Ludwig Wachler's Lehrbuch der Geschichte zum Gebrauche in höheren Unterrichts-Anstalten

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immer langsam und unter theils beschrankenden, theils fordernden Bedingungen zu 
reiferem Wachsthume, wahrend sie bey Millionen nur in zarten, dem verwöhnten 
Auge kaum sichtbaren Keimen vorhanden sind; so bey den Naturmenschen in den 
vom Beyspiel und von der Wirksamkeit der Sittigung unberührt gebliebenen Erd¬ 
strichen und Eilanden; so bey vielen Negerstämmen in verjährter Vereinsamung; 
so bey vielen Völkerschaften des Morgenlandes, deren bescheidene Bedürfnisse durch 
Freygebigkeit des heimathlichen Bodens und durch Benutzung der Thierwelt befrie¬ 
digt werden; was diesen entgegengebracht oder aufgenöthigt wird, weichet nach 
kurzer Frist der Mächtigkeit des tiefgewurzelten Kreislaufes ihres Daseyns, bis sie, 
in ihrem Innern aufgeregt und in Folge eines ihnen eigenthümlichen geistigen 
Dranges selbst finden und vesthalten, was ihnen frommt und Noth thut. 
,,Ueberall gehet die Entwickelung des gesellschaftlichen Zustandes von dem 
durch Erfahrung und Selbstbetrachtung geläuterten sittlichen Naturtriebe aus; diese 
Läuterung ist die Frucht des erwachenden Gefühles der Abhängigkeit von Mächten 
außer dem Menschen, beginnt mit Beschränkung thierisch-roher Selbstsucht, mit 
Entäußerung der nichts Verwandtes berücksichtigenden Vereinzelung, mit Demuth, 
die ein Uebergewicht fremder Gewalt anerkennt, mit jener kindlichen Ahnung des 
geheimnißvollen Erhabenen, welche nie in Begriff und dialektische Zergliederung 
übergehet, sondern in der reiferen Ausbildung des Verstandesgebrauches ihren Un¬ 
tergang findet, kurz mit dem Erwachen des, dem irdischen Dafeyn eine geistige Ge¬ 
stalt und Richtung verleihenden re li giösen Gefüh ls. So offenbaret sich überall 
in dem aus begreiflichen Ursachen gleichmäßig dunkeln Urzustände des Staatslebens 
der, bey aller Armuth an genügenden Nachrichten unverkennbare Grundbestandtheil 
desselben im religiösen Gehorsam; wir finden ihn mannigfach umkleidet, in wun¬ 
dersame Sinnbilder und dichterische Ueberlieferungen gehüllt bey dem Zendvolke, 
bey den Hindu, bey Aegyptern und Sinesen, in allen, immer räthselhaften, zum 
Theile willkührlich gemißbrauchten, zum Theile verdächtigen Andeutungen über die 
Nebelgestalten der Zeitalter, welche der bewahrheiteten Geschichte voraufgchen. In 
dem üppig ausgestatteten Flußgebiete des Tigris und Euphrat tritt trotzige Na¬ 
turkraft selbstsüchtiger Sinnlichkeit hervor und erhebet sich zu übermüthiger Will- 
kühr, welche gesetzlosem Machtspiele Alles unterordnet; streitende Gegensätze werden 
in das Leben eingeführt und fördern die reifere Gestaltung desselben; sie werden nicht 
nur in den, die Assyrische Wölkerwelt treffenden frevelhaften Gewaltstreichen, sondern 
auf ähnliche Weise in allen ursprünglich durch priesterliche Ueberlegenheit geordne¬ 
ten gesellschaftlichen Vereinen sichtbar; irdische Roheit, sich selbst genügend, erfaßt 
mit starker Hand die Gegenwart und schwachen Widerstand leistet die aus Erfah¬ 
rungen der Umgebung und aus dem durch diese geübten Werstandesgebrauche der 
Selbstliebe erwachsene geistige Sehnsucht nach selbstständigem Lebensgenüsse. Unter 
den Phönikiern wird mit Kunst und Gewerbfleiß, mit kaufmännischem Verkehr ein 
vesteres Streben nach selbstsüchtiger Freyheit entfaltet; in Syrien's gesegneten 
Ebenen gedeihen städtischer Wohlstand und Gemeinsinn; unter den Hebräern erzeu¬ 
get sich eine religiöse Staats-Idee. Diese verschiedenartige Richtungen und Re¬ 
gungen bestehen während der Persischen Weltherrschaft neben einander, berühren 
sich kaum leise und greifen wenig oder kaum bemerkbar in einander ein. 
,,Der jugendliche Lebensfrühling blühete in Griechenland auf; die aus frühe¬ 
ren Zeiten und von anderen Völkern geerbten, oder mit den ältesten Einwanderun¬ 
gen auf Hellas übergegangenen religiösen Naturansichten legten dem unter mild 
heiterem Himmel schön gearteten und zum Vollgefühle eigenthüinlicher Kraft sich 
entwickelnden Menschenstamme durch drückende Zwangsverhältnisse keine Fesseln 
an; sie gestalteten sich nach dem in immer freyererBewegung fortschreitenden gesell¬
	        
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