Die ritterliche Minnedichtung.
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Parzival, dem früher ein ehrwürdiger Greis gerathen, nicht zn viel zu fragen, unterläßt
in dem entscheidenden Augenblick die Frage, die ihn in den Besitz der Gralsburg mit aller
ihrer Herrlichkeit gesetzt hätte und muß nun durch schwere Prüfungen und Läuterung seines Innern
zu solcher Vollkommenheit emporstreben, daß er ob seines Seelenadels und seiner innern Reinheit
das verscherzte Königthum wieder erwirbt. Damit beginnt für ihn ein höheres, durch ein heil.
Streben geadeltes Leben, in dessen Schilderung der Hauptwerth des Gedichts liegt. Parzival bringt
den weltlichen Ritterstnn und das sinnliche Treiben, dem er früher eben so gehuldigt, wie jetzt daS
Weltkind G aw an, dessen Thaten Wolfram als Gegensatz gleichfalls in fein Gedicht cinflicht,
dem Seelenleben und der innern Beschaulichkeit zum Opfer. Gr wird von dem einsiedlerischen Weisen
Trcvrizent über Gott, das Erlösungswerk und die menschliche Bestimmung belehrt, und gelangt
endlich zu einer solchen geistigen Reinigung, daß er für würdig erklärt wird, König der geheimnis¬
vollen Gralburg zu werden. — Die Ideen der gcistl. Ritterorden bilden die Grundlage dieses Gedichts,
wie schon aus der Benennung T e m p l e i se n, die auf den T e m p l e r o r d e n hindeutet, hervorgeht.
Man könnte es als einen zweiten, christl. Theil der Alerandcrsage Lambrechts bezeichnen; denn wie
dieses die weltlichen Thaten eines von sinnlichen Eindrücken geleiteten Helden darstellt, und da endigt,
wo derselbe in sich geht und sich ändert, so schildert der Dichter des Parcival daS Seelenleben eines
von christl. Weihe berührten Helden, der durch Ueberwindung der Welt und ihrer Genüsse sich des
Paradieses würdig macht. Das Paradies selbst beschreibt der Dichter D a n t e (§. 320), dem eS allein
gegeben war, den Zustand derWelrlichkeit, Läuterung und Seligkeit in seiner Hölle,
Fegefeuer und Paradies darzustellen.
Außer dem Parzival besitzen wir von Wolfram von Eschenbach ein sehr schönes
Bruchstück eines Heldengedichts Titurel (§. 22). Interessant ist bei diesem Dichter
der Humor und die gutmüthige Satire, die er häufig anwendet und bisweilen gegen
sich selbst kehrt.
§. 20. Gott fried von Straß bürg. Einen merkwürdigen Gegensatz zu
Wolframs Parzival bildet Tristan und Isolde von Gottfried von Stra߬
burg. Wie uns der erstere den Ernst des Lebens vorführt und kn seinem Helden
die sittliche Grüße, die Charakterfestigkeit und den Adel der Gesinnungen und Be¬
strebungen preist, aber seinen gehaltvollen Inhalt nicht selten in mystisches Dunkel
kleidet und durch seine gehobene, feierliche Sprache das Verständniß seines Gedichts
erschwert, so schildert Gottfried den Leichtsinn, die Charakterschwäche, die Sünd¬
haftigkeit und die irdischen Freuden und Genüsse eines von der Liebe beherrschten,
dem Sinnentaumel sröhncnden Paars, aber in zierlicher, gefälliger Sprache, in
klarer und schöner Darstellung und mit einer bewunderungswürdigen Wahrheit der
Beobachtung. Gottfried, wahrscheinlich von bürgerlicher Abkunft, spricht sich selbst
mißbilligend über Wolfram's dunkle Manier und bas träumerische Seelenleben sei¬
nes Helden aus und theilt die Palme der Poesie dem Hartmann zu; aber wie
sehr auch Gottfrieds Gedicht an Kunstfertigkeit und Vollendung der Form über dem
Parzival steht — der sittliche Werth des Inhalts stellt das letztere dennoch höher.
Inhalt: Nachdem die Liebe und der Tod von Tristan's Eltern geschildert, wird die Erziehung
des Sohnes erzählt, wobei sich schon der Gegensatz gegen Parzival kund gibt. Tristan wird nämlich
nicht in stiller Einsamkeit erzogen, sondern in der vornehmen Welt, lernt alle höfischen Künste und
erwirbt sich die körperlichen und geistigen Eigenschaften, die einem feinen Ritter anstehen, aber selten
einen großen Charakter bilden. Nachdem er erwachsen, eroberter sein Land wieder, besteht manche
Abenteuer und kommt an den Hof seines Oheims Marke von CornwalliS, für den er die Werbung
der schonen Isolde (Jsvt) von Irland übernimmt, deren Vetter er früher im Kampf erschlagen, und
die er selbst dann, als Spielmann verkleidet, in der Musik unterrichtet hatte. In Irland tödtet Tristan
einen Drachen und bringt dann bei Zsold , die ihn erkennt und ihm anfangs feind ist, Markc's Wer¬
bung an ; diese geht auf den Antrag ein und begibt sich mit Tristan zu Schiffe , von der Mutter heim¬
lich mit einen, Liebestrunk für Marke versehen. Auf der Seereise trinken beide unbewußt von dem Zau¬
bertrank und entbrennen nun in heißer, unlauterer Liebe zu einander, deren Wirkungen auf die Gefühle
und Handlungen der Liebenden mit erstaunungswürdiger Seclenkenntniß geschildert werden. Jsold
wird Markes Gattin, vermag aber nicht ihr Herz von Tristan, der in ihrer Nähe bleibt, abzuwenden,