Full text: Lehrbuch der Weltgeschichte

Die ritterliche Minnedichtung. 
799 
Parzival, dem früher ein ehrwürdiger Greis gerathen, nicht zn viel zu fragen, unterläßt 
in dem entscheidenden Augenblick die Frage, die ihn in den Besitz der Gralsburg mit aller 
ihrer Herrlichkeit gesetzt hätte und muß nun durch schwere Prüfungen und Läuterung seines Innern 
zu solcher Vollkommenheit emporstreben, daß er ob seines Seelenadels und seiner innern Reinheit 
das verscherzte Königthum wieder erwirbt. Damit beginnt für ihn ein höheres, durch ein heil. 
Streben geadeltes Leben, in dessen Schilderung der Hauptwerth des Gedichts liegt. Parzival bringt 
den weltlichen Ritterstnn und das sinnliche Treiben, dem er früher eben so gehuldigt, wie jetzt daS 
Weltkind G aw an, dessen Thaten Wolfram als Gegensatz gleichfalls in fein Gedicht cinflicht, 
dem Seelenleben und der innern Beschaulichkeit zum Opfer. Gr wird von dem einsiedlerischen Weisen 
Trcvrizent über Gott, das Erlösungswerk und die menschliche Bestimmung belehrt, und gelangt 
endlich zu einer solchen geistigen Reinigung, daß er für würdig erklärt wird, König der geheimnis¬ 
vollen Gralburg zu werden. — Die Ideen der gcistl. Ritterorden bilden die Grundlage dieses Gedichts, 
wie schon aus der Benennung T e m p l e i se n, die auf den T e m p l e r o r d e n hindeutet, hervorgeht. 
Man könnte es als einen zweiten, christl. Theil der Alerandcrsage Lambrechts bezeichnen; denn wie 
dieses die weltlichen Thaten eines von sinnlichen Eindrücken geleiteten Helden darstellt, und da endigt, 
wo derselbe in sich geht und sich ändert, so schildert der Dichter des Parcival daS Seelenleben eines 
von christl. Weihe berührten Helden, der durch Ueberwindung der Welt und ihrer Genüsse sich des 
Paradieses würdig macht. Das Paradies selbst beschreibt der Dichter D a n t e (§. 320), dem eS allein 
gegeben war, den Zustand derWelrlichkeit, Läuterung und Seligkeit in seiner Hölle, 
Fegefeuer und Paradies darzustellen. 
Außer dem Parzival besitzen wir von Wolfram von Eschenbach ein sehr schönes 
Bruchstück eines Heldengedichts Titurel (§. 22). Interessant ist bei diesem Dichter 
der Humor und die gutmüthige Satire, die er häufig anwendet und bisweilen gegen 
sich selbst kehrt. 
§. 20. Gott fried von Straß bürg. Einen merkwürdigen Gegensatz zu 
Wolframs Parzival bildet Tristan und Isolde von Gottfried von Stra߬ 
burg. Wie uns der erstere den Ernst des Lebens vorführt und kn seinem Helden 
die sittliche Grüße, die Charakterfestigkeit und den Adel der Gesinnungen und Be¬ 
strebungen preist, aber seinen gehaltvollen Inhalt nicht selten in mystisches Dunkel 
kleidet und durch seine gehobene, feierliche Sprache das Verständniß seines Gedichts 
erschwert, so schildert Gottfried den Leichtsinn, die Charakterschwäche, die Sünd¬ 
haftigkeit und die irdischen Freuden und Genüsse eines von der Liebe beherrschten, 
dem Sinnentaumel sröhncnden Paars, aber in zierlicher, gefälliger Sprache, in 
klarer und schöner Darstellung und mit einer bewunderungswürdigen Wahrheit der 
Beobachtung. Gottfried, wahrscheinlich von bürgerlicher Abkunft, spricht sich selbst 
mißbilligend über Wolfram's dunkle Manier und bas träumerische Seelenleben sei¬ 
nes Helden aus und theilt die Palme der Poesie dem Hartmann zu; aber wie 
sehr auch Gottfrieds Gedicht an Kunstfertigkeit und Vollendung der Form über dem 
Parzival steht — der sittliche Werth des Inhalts stellt das letztere dennoch höher. 
Inhalt: Nachdem die Liebe und der Tod von Tristan's Eltern geschildert, wird die Erziehung 
des Sohnes erzählt, wobei sich schon der Gegensatz gegen Parzival kund gibt. Tristan wird nämlich 
nicht in stiller Einsamkeit erzogen, sondern in der vornehmen Welt, lernt alle höfischen Künste und 
erwirbt sich die körperlichen und geistigen Eigenschaften, die einem feinen Ritter anstehen, aber selten 
einen großen Charakter bilden. Nachdem er erwachsen, eroberter sein Land wieder, besteht manche 
Abenteuer und kommt an den Hof seines Oheims Marke von CornwalliS, für den er die Werbung 
der schonen Isolde (Jsvt) von Irland übernimmt, deren Vetter er früher im Kampf erschlagen, und 
die er selbst dann, als Spielmann verkleidet, in der Musik unterrichtet hatte. In Irland tödtet Tristan 
einen Drachen und bringt dann bei Zsold , die ihn erkennt und ihm anfangs feind ist, Markc's Wer¬ 
bung an ; diese geht auf den Antrag ein und begibt sich mit Tristan zu Schiffe , von der Mutter heim¬ 
lich mit einen, Liebestrunk für Marke versehen. Auf der Seereise trinken beide unbewußt von dem Zau¬ 
bertrank und entbrennen nun in heißer, unlauterer Liebe zu einander, deren Wirkungen auf die Gefühle 
und Handlungen der Liebenden mit erstaunungswürdiger Seclenkenntniß geschildert werden. Jsold 
wird Markes Gattin, vermag aber nicht ihr Herz von Tristan, der in ihrer Nähe bleibt, abzuwenden,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.