818 Die deutsche Volksliteratur im 15. und 16. Jahrhundert.
lehrten (in deren Hände die Volksliteratur am Ende des Jahrhunderts übergegangen war) bewog, sich
bei der Abfassung ihrer Schauspiele sogleich der deutschen Sprache zu bedienen.
Zu gleicher Zeit gab H a n s S a ch S der deutschen Volkskomödie einen gro¬
ßen Aufschwung, indem er sich nicht mehr blos an religiöse Gegenstände hielt, son¬
dern auch die alte Geschichte und Mythologie, die mittelalterlichen Sagen und Er¬
zählungen , kurz den ganzen Stoff des Lebens und der Geschichte in den Kreis sei¬
ner dramatischen Dichtungen zog; und so unvollendet auch noch Form und Anlage
der meisten Stücke sind, wo die Erzählung oft nur in einen Dialog umgewandelt
erscheint, so ist er doch als der Schöpfer des kunstmäßigen Drama in Deutschland
anzusehen, indem sein Verfahren für die folgenden dramat. Dichter (unter denen
Ayrer. der Nürnberger Notar Jacob Ayrer der bedeutendste ist) maßgebend blieb/)
Wäre man auf Hans Sachsens Spur fortgeschritten, so hätte sich im 17. Jahrh.,
wo der Herzog Heinrich Julius von Braunschweig bereits eine Hofbühne
hatte und selbst Schauspiele dichtete, bei uns eben so leicht ein Nationaltheater bil¬
den können, wie in England durch Shakespeare und in Spanien durch Lope
de Vega; aber theils der niedrige Culturzustand des Volks, theils der Mangel
einer gebildeten Hauptstadt und eines bedeutenden Dichters hemmte das Begonnene
und hielt den rohen Volkston fest, dessen Organ besonders der Hanswurst, eine
Art Eulenspicgel, war.
*) Die Stücke von Ayrer, wie alle gleichzeitigen dramat. Produkte, sind mit rohen Grausamkei¬
ten und blutiger Barbarei angefüllt. Eine englische Schauspielertruppe, die im I. 1600
Deutschland durchzog und mit großem Beifall ihre blutigen Tragödien aufführte, übte darauf einen
unverkennbaren Einfluß.
tz. 42. 6. Die Oper. Während des dreißigjährigen Kriegs, wo alle Volks¬
belustigungen aufhörten, wurde das Volksschauspiel vergessen. Opitz, der Vater der
neuen Kunstpoesie, führte auch das Drama wieder ein, indem er einige Tragö¬
dien des Seneca und einige italienische Sing- und S ch ä fersp iele übersetzte,
aber nicht für die Bühne, sondern zur Lectüre. Und wie denn Opitz in Allem
maßgebend war, und Nachahmer fand, so auch hier. Gryphius, Lohenstcin
und Weise schritten auf seiner Bahn fort; die Pegnitz dichter bildeten die mit
Musik begleiteten dramatischen Sing- und S chäfer spiele aus, die nach dem
Westphälischen Frieden, als an den Höfen und beim Volke die Lust an Schauge¬
pränge einriß, in die Oper übergingen. Diese letztere Gattung, die aus Italien
eingeführt wurde und zuerst in Sachsen, dann in den Reichsstädten (Nürnberg,
Augsburg, Hamburg) in Aufnahme kam, wurde bei der immer mehr zunehmenden
Schauwuth bald so mächtig, daß sie das Drama ganz verdrängte. Alle Künste,
Musik, Malerei, Architectur und Dichtung wirkten hier zusammen, und um die
Sinnenreize eines verwöhnten Geschlechts noch zu mehren, wurden Maschinenkunst,
Tanz, Feuerwerk u. dergl. hinzugefügt. Dieses ganz sinnliche Gaukelwerk ohne Na¬
tur und Gehalt erfuhr im 18. Jahrh, von drei Seiten her einen Widerstand, der
seinen wuchernden Ucbergriffen einen Damm setzte, von den Geistlichen, von dem
großen Musiker Händel und von Gottsched.
7. Luthers Einfluß auf die deutsche Literatur.
ß. 43. a. Deutsche Prosa. Luther war nicht nur der Gründer einer neuen
Kirche, er war auch der Schöpfer der neu-hochdeutschen Prosasprache