Gang und Gliederung der christlichen Geschichte. n
wiedergewonnen hat. Dem Gange der Auflösung gegenüber steht auch
das Papstthnm machtlos da. Seine Verwicklung in staatliche Handel
hat Herrschern Gelegenheit gegeben, einer Macht, die so oft der Will-
kühr segenreich entgegengewirkt, Schläge zu versetzen, die ihr Ansehn
schwächten. Das Streben, das Gebiet unmittelbaren und möglichst un¬
bedingten Besitzes recht sicher und fest abzumarken, wirkte an und für
sich derjenigen Macht entgegen, die in dem beständigen Streben der
Einigung ihren Beruf hatte. Aber nicht allein dem Papftthume als dem
Schützer und Leiter der christlichen Gemeinschaft der Völker wurde die
Anerkennung versagt. Gegen die Kirche selbst erhob sich ein Kamps
der Irrlehre und der Empörung. Noch zerstörender aber wirkte, daß
Ansichten, die auf dem staatlichen Gebiete die Ordnung lösten, auch in
das kirchliche Gebiet eindrangen und eine für die Kirche gefährliche Be¬
streitung des dem Papste auf dem lediglich kirchlichen Gebiete zustehen¬
den Rechtes veranlaßten. Zwar wurde die Gefahr noch überwunden,
aber das Beispiel war gegeben und der einmal gehörte Ruf nach einer
Einengung der zur kirchlichen Negierung erforderlichen Befugnisse wurde
nicht vergessen. Bald erscheinen auch Träger der höchsten kirchlichen
Würde, welche dem selbstsüchtigen Treiben der Zeit so verfielen, daß
die Menschen an der Würde selbst irre wurden. Die Verwirrung noch
zu vergrößern führte selbst die Wissenschaft in ihrem Verlaufe zu einer
Abkehr von christlichem Leben, indem die erneute Bekanntschaft mit der
vorchristlichen Zeit mittelst der Muster künstlerischer Vollendung, welche
sie bot, das Mißverständniß erregte, als ob eine Rückkehr zu Denken
und Leben jener Zeit Forderung höherer Bildung sei. So kam die Zeit
heran, da durch Europa die Kunde eines Ereignisses erscholl, das Ange¬
sichts der die Christenheit von Außen und von Innen bedrohenden Ge¬
fahren in religiöser Hinsicht von größter Bedeutung war, doch von den
Meisten, die dadurch in Bewegung gesetzt wurden, in anderem als reli¬
giösem Sinne erfaßt wurde. Von den südwestlichen Ländern Europas
aus, wo der Kampf für den christlichen Glauben als ein Kampf um
das eigne Bestehen nicht geruht hatte, waren in Verfolgung des von
dem wahrhaft christlichen Rittergeiste beschrittenen Weges Entdecker aus¬
gegangen, die zu den auf dem Landwege von den Anhängern Moham¬
meds abgesperrten reichen Ländern Asiens einen Seeweg fanden und im
fernen Westen jenseits des jetzt zum ersten Male durchschnittenen Mee¬
res eine bisher verborgene Welt erschlossen. Groß, wie die Erweite¬
rung, die sich für Blick und Thätigkeit der europäischen Menschheit er¬
gab, war auch die Erweiterung, welche für die Aufgabe der Kirche be¬
wirkt war und welche, wenn nicht das Werk eines christlichen Staaten¬
thums mißlungen gewesen wäre, die ganze von der Kirche umschlossene
Menschheit im Sinne der Kirche hätte ergreifen müffen. Die Folgen