Gang und Gliederung der christlichen Geschichte. 13
Absichten wirksam, die bis auf die Gegenwart an der Gestaltung der
geselligen Zustande zu arbeiten fortgefahren haben und für den Be¬
trachter, stehe er mit denselben in Uebereinstimmung oder in Widerspruch,
die Deutlichkeit der auf unmittelbarer Erfahrung beruhenden Kenntniß
haben. Es ist also angemessen, den dort beginnenden Zeitraum die neue
Geschichte zu nennen, indem man ihn dadurch als einen noch nicht be¬
endeten bezeichnet, dem das lebende Geschlecht selbst angehört. Wenn
man aber, nachdem man sich die durch Untergang des weströmischen
Reiches beschlossene Zeit in besonderem Sinne das Alterthum zu nennen
gewöhnt, die dort beginnende und am Schlüsse des fünfzehnten Jahr¬
hunderts endende Zeit das Mittelalter genannt hat, so beruht diese
Bezeichnung, wie die ihr zu Grunde liegende Eintheilung auf Ansichten
von zweifelhafter Berechtigung. Der Untergang des römischen Reiches
als Verschwinden des Jmperatorenthums und Vernichtung der letzten
Reste römischer Herrschaft durch die Germanen gedacht, ist ein gar
nicht tief in die Reihe der Begebenheiten einschneidendes Ereigniß, da
sie nur ein Glied in der langen Kette von Erscheinungen ist, durch
welche der wirkliche Untergang des seinem Wesen nach römischen Rei¬
ches und der Aufbau germanischer Herrschaft erfolgt. Es ist auch bei
dieser Eintheilung die weltverwandelnde Macht des Christenthums außer
Acht gelassen, das mit seinem Eintritt in die Welt, nicht mit dem Un¬
tergang des größten dem Heidenthum ungehörigen Reiches, den Beginn
einer neuen Zeit nicht bloß verkündet, sondern entschieden hat. Abge¬
sehen aber von der Unsicherheit des für ein angebliches Mittelalter zu
wählenden Anfangspunktes, erregt der Name dadurch Bedenken, daß er
die Zustände des fraglichen Zeitraumes nicht bloß als vorübergegangene
bezeichnet, sondern für den Anfang der neuen Zeit eine derartige An¬
knüpfung an das Alterthum andeutet, als habe Alles, was dazwischen
liegt, nur eine naturgemäße Entwicklung unterbrochen und als habe beim
Eintritt der neuen Zeit die Geschichte einen Faden, der durch Zerstörung
des römischen Reiches abgerissen worden, wieder angeknüpft. Hierin
verräth sich ein sehr gewagtes Urtheil über den beziehungsweisen Werth
desjenigen, was die Menschheit in dem Mittelalter und der neuen Zeit
gethan und erfahren hat. Es widerspricht aller von christlichem Stand¬
punkte aus zu gewinnenden geschichtlichen Anschauung die Annahme, daß
der menschliche Geist erst nach einer tausendjährigen Hemmung die seinem
Wesen entsprechende Bahn fortzusetzen die Mittel gefunden. Es erweisen
sich freilich große Bestrebungen, zu welchen die mit besonders klarem
Blicke auf den Höhen Stehenden den Plan in sich trugen und welchen
ein allgemein verbreitetes Gefühl Anerkennung zollte, am Schlüsse jenes
Mittelalters als mißlungen. Es könnte aber, wenn man darin einen
Beweis für ihre Ungültigkeit und für einen auf der damaligen Mensch-