Full text: Geschichte des Orients und Griechenlands (Bd. 1, Abth. 1)

Die Urgeschichte. 3 
Gottes, das im 1. Buch Mosis (Genesis) die Schöpfung der Welt als einen 
freien Willensact Gottes, als ein Werk seiner Allmacht kennen lehrt *). Aller¬ 
dings ist iit den sechs Tagwerken oder Perioden^), die dort aufgestellt werden, 
noch Vieles unbegreiflich und rätselhaft, aber anchnoch keiner Forschung gelungen 
sie als uumöglich und falfch zu erweisen 3), und mindestens ist das eine nicht ein- 
mal bezweifelt worden, daß dem Menschen die ihm in der übrigen Schöpfung 
gebärende Stellung angewiesen ist. 
2. Nach Vollendung der übrigen Schöpfung erschuf Gott am sechsten Tag 
den Menschen (Adam) nach seinem Ebenbild, durch die feine Organisation und 
aufrechte Stellung des Leibes, uoch mehr aber durch die höhrer Empfindungen 
uud Neigungen fähige Seele, und den Gottes und sein selbst sich bewnsten Geist 
über alle Geschöpfe erhaben und mit dem Schöpfer in innigster und lebendigster 
Gemeinschaft. Es ward ihm die Gabe der Sprache verliehn und zur Gehülfin 
das Weib (Eva) gegebeu, damit er mit ihr in heiliger Gemeinschaft lebe uud 
dadurch lauterer Freude uud höhrer Vollkommenheit teilhaftig würde (Stiftung 
des Ehebunds). In dem Garten Eden (dem Paradife)'') hatten die ersten 
Menschen die reichste Fülle der herlichsten Gaben zu genießen die unumschränkte 
Macht: nur von dem Baum der Erkeuutuis des Guten ltnb Bösen war ihnen zu 
essen verboten. 
3. Das Weib folgte dem ihr in der Gestalt der Schlange nahenden Ver- 
fncher, der in ihr den Zweifel an Gottes Gebot, dann den Unglauben an seine 
Wahrhaftigkeit, endlich das sich überhebende Verlangen nach Gottgleichheit weckte : 
sie aß von der verbotnen Frucht und verleitete auch Adam zu demselben (der 
Sündensall). Durch diesen Ungehorsam ward die Gemeinschaft mit Gott 
gelöst, eine fortwärende Neigung zur Auflehnung gegen sein Gebot und damit 
eine immer weiter greifende Trübung der Erkeuutuis von ihm, die sich natürlich 
von Geschlecht zu Geschlecht fortpflanzten (die Erbsünde), traten an die Stelle. 
Die Strafe von Gottes heiliger Gerechtigkeit war die Ausweisung aus dem 
Paradise, die Auflegung sorgenvoller und mühereicher Arbeit zur Erhaltung des 
Lebens und der erst jetzt zum Bedürfnis gewordnen Kleidung, Schmerz und 
Gefahr bei der Geburt der Kiuder und Untertänigkeit unter den Mann für das 
Weib, Krankheit und endlich der Tod des Leibes. Aber seine erbarmende Gnade 
gab zum Trost die Verheißung einer Erlösung von dem Fluche, den er über die 
Sünde ausgesprochen, und verwandelte die Strafe in eine heilsame Zucht, ja er 
ließ das Bewustseiu der Abhängigkeit von ihm nicht gänzlich aussterben, sondern 
erhielt die Sehnsucht nach einer Versöhnung, die schou in der ersten Menschen- 
samilie durch Darbringung von Opfern gesucht ward. 
4. Vou Adams und Evas Söhnen erschlug der ältere Kain den jüngeren 
frommen Abel aus Neid, weil Gott dessen Opfer gnädiger annahm — die erste 
gräßliche Äußerung der angebornen Sünde —, uud floh aus Furcht vor Gottes 
rächendem Angesicht nach einem östlich gelegnen unfruchtbaren Lande (Nod), wo 
er das Hirtenleben anfgab und feste Wohnsitze nahm. Seine Nachkommen 
(Kannten) verirrten sich immer weiter von Gott und entarteten in Auflehnung 
1)"Vgl. Klir, Erklärung der mosaischen Schöpfungsgeschichte für den Stand¬ 
punkt der Schule. Programm Cottbus 1850. — 2) Das hebräische Wort vi'' bedeutet 
allerdings auch einen Zeitraum uud uud "ljPb lassen sich als ''Mischung' uud 
^Orduuug' deuteu. — 3) Wagner, Geschichte der Urwelt 1845. Karl Vogt hat viel- 
fache Widerlegung bereits gesundem >— 4) Da die heilige Schrift 4 Flüsse in ihm 
nennt: Pison, Gihou, Hiddekel und Phrat, so hat man seine Stelle im westlichen 
Hochasien zwischen deu Quellbezirken des Oxus, Indus, Tigris und Euphrat ange- 
nommen, aber die Erde hat durch die Flut eiue gänzliche Umgestaltung erlitten. 
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