Marcus Aurelius 161 — 180.
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im Grundzuge die der Stoiker, aber weiter geführt uud ausgebildet. Er sucht
nicht durch Speculation tiefre Aufschlüsse über das göttliche Wesen, sondern
begnügt sich mit dem abstraeten Begriff einer Vorsehung, mit dem sich die
Vielheit der Götter vereinigen läßt, aber über das Verhältnis des Menschen
zu der Gottheit uud zu seinen Mitmenschen stellt er so richtige Gedanken auf
uud bekämpft in sich mit solchem Nachdruck den Stolz auf Weisheit uud Tugend,
daß man glaubt, das Licht des Evangeliums sei unbewußt in seine Seele ge¬
drungen. Und nicht allein gedacht und geschrieben hat er seine Moral, sondern
sie auch im Leben befolgt. Unermüdliche aufopfernde Thätigkeit für die Er¬
füllung seiner Regentenpflichten, im Kriege um so höher anzuschlagen je
weniger er für denselben geboren und geartet war, Gerechtigkeit gegen
Jedermann *), bei ernster Sorge für Rechtspflege^) die mildeste Behandlung
und Verzeihung für Fehlende, deren Bessrung er sich vielmehr am Herzen lie¬
gen ließ, die strengste Enthaltsamkeit von Geld und Gut^), von Genuß und
Vergnügen, Freigebigkeit für MenschenwolH und Bildung^), eine unverwüst¬
liche Leutseligkeit siud Eigenschaften, welche ihm das Lob eines großen und
guten Regenten zu erteilen zwingen. Wird ihm zum Vorwurf gemacht, daß
er gegen seine nächste Umgebung (L. Verus, die Kaiserin Faustina, seinen
S. Commodus) nicht die notwendige Strenge geltend gemacht habe, daß er
überhaupt für ein der eisernen Faust bedürfendes Zeitalter zu mild ausgetreten
sei, so stellt dieser Zug freundlicher Menschlichkeit den sonstigen Glanz seiner
Persönlichkeit nicht in Dunkel. Nur eins erregt unser Bedauern, daß unter
ihm gegen die Christen härtere Maßregeln ergriffen wurden, als unter den
früher» Kaisern (vierte Verfolgung). Zwischen seinem Gottesbewustsein
uud der Offenbarung Gottes ist ein unlösbarer Widerspruch und von jenem
die Auffassung der Pflichten im Leben so bedingt, daß er in der Weigrung
die Götter zu verehren eine strafbare Auflehnung sah, und um so mehr gegen
seine Gewohnheit, Bessrung zu versuchen, zurHärte verleitet ward, weil er in der
Glaubenstreue bis zum Tod nur Starrsinn fand u). Das Edict, welches Deporta¬
tion für dieVerbreiter religiösen Aberglaubens festsetzte, erlitt natürlich auch auf
die Christen Anwendung, aber auch sonst ward in einzelnen Fällen die Todes¬
strafe angewandt, ja 167 in Smyrna und 177 in Lugdunum uud Vienna mit
fürchterlichen Martern die nicht verleugnenden hingerichtet H. — Der Mitkaiser
L. Verus bildete einen Gegensatz gegen M. Aurelius, indem er wenn auch
nicht schlecht und geistlos, doch den Genüssen des Lebens und der Verschwen¬
dung ergeben war. Seine Aufnahme in die Mitregentschaft würde die
1) Dem Senat ließ er die geehrteste Stellung und kein Mitglied desselben ward
von ihm hingerichtct. — 2) Hadrians Bemühung für das Recht wurde durch eine
bearbeitende Zusammenstellung der kaiserlichen Constitutionen von ihm fortgesetzt
Gregorov. Hadrian S. 13-1. — 3) S. Fronto ed. Mai II 167—69. — 4) Auch er er¬
richtete, tvie sein Vorgänger eine Anstalt zur Erziehung armer Mädchen. In dcnr
Wetteifer der Kaiser dafür erkennen wir ein höchst lobenswertes Entgegenwirken
gegen das Sittenverderben, welches das weibliche Geschlecht am tiefsten ergriffen
hatte. —.5) Die Schule in Athen erhielt auch von ihm bedeutende Geldmittel (Gre¬
gorov. Hadr. S. 152). •— 6) sig socvx. XII 3. •— 7) Justinus Martyr ward wahr¬
scheinlich erst unter M. Aur. auf die Anklage des Cyniker Crescens hingerichtet
(Euseb. h. e. IV 16. Tertull. adv. Valent 5.). Bei der Verfolgung zu Smyrna
erlitt der Bischof Polykarpos, ein Schüler des Apostel Johannes, ans dem Scheitcr-
haufen den Tod (Euseb. 6- e. IV 15), bei der in Lugdunum (Euseb. a. a. 0. V 1—3)
erwarben sich Attalns, Sanctus, Blandina, der KnabePonticus und der 90jährige
Bischof Pothinus die Märtyrerkrone. Wer legendenhafte Übertreibung behauptet, ziehe
in Erwägung, zu welcher Grausamkeit das römische Strafrecht Nichtbürgern gegen¬
über berechtigte.