Full text: Die Zeit von Christi Geburt bis zum Regierungsantritt Karls des Großen (Bd. 2, Abth. 1)

Die Gründung des neupersischen oder Sassanidenreichs. 119 
Tyana auch Abraham und Christus rechnete^), als ein Zeugnis, daß edlere 
Naturen der Anerkennung des höhern sittlichen Lebens im Christeiltum sich 
nicht entziehn konnten. Daß aber die alten Gesetze, durch welche das Evan¬ 
gelium als reiitzlo illicita verfolgt werden konnte, noch bestehn blieben, 
beweisen die damals abgefasstcn Schriften von Ulpianus. Den Geschäften 
des Friedens entriß den Kaiser ein Ereignis, welches auf die Geschicke des 
Römerreichs und des Orients für lange Zeit bestimmenden Einfluß ausübte. 
Die Gründung des neupersischen oder Sassanidenreichs. 
8 29. 
1. Das Reich der P arth er litt seit langer Zeit an innerm Zwist. Wie 
bei allen orientalischen Völkern war die Thronfolge immer ein Spiel von 
Jntriguen und rasche Erschlaffung der Herscher begünstigte dasselbe. Dazu 
mangelte eine feste Ordnung des Reichs, indem die Häuptlinge der Stämme, 
die Statthalter der Provinzen und die großen Städte nur so weit die gebietende 
Auctorität des Großkönigs anerkannten, als sie mit Nachdruck geltend gemacht 
werden konnte oder es den eignen Interessen entsprach. Der Mangel einheit¬ 
licher Bildung, indem hier eine Menge Stufen vom Hellenismus an bis zuur 
rein Altorientalischen, ja Nomadischen neben einander bestanden und bestehn 
blieben, hatte nicht einmal den Versuch einer einheitlichern Organisation er¬ 
möglicht. Auf den nomadischen Rciterstämmen beruhte vorzugsweise die krie¬ 
gerische Kraft des Reichs. Welcher König zu beutereichem Kampfe zu führen 
wüste, stand fester auf dem Thron, aber Verluste und Niederlagen erschütterten 
zugleich sein Königtum. Daher kam es auch, daß das Reich den Römern 
immer ein gefährlicher Nachbar blieb und selbst die innern Zerwürfnisse ihnen 
eine dauernde wirksame Offensive nicht erleichterten, wenn dabei auch den 
Schwierigkeiten des Terrains und des Klima's und der eignen Beschaffenheit 
ihres Reichs Rechnung zu tragen ist. Gleichwol würde das weite Reich dem 
Schicksal, einem andern aus Hinter- und Nordasien vordringenden Volke als 
Beute zu verfallen, nicht entgangen sein, wenn nicht aus ihm selbst eine 
Regeneration oder vielmehr kräftigende Neaction hevorgegangen wäre. 
2. Ard schiir (von den Griechen Artarerres genannt), Sassans Sohn, 
wenigstens dem spätern allgemeinen Glauben des Volks nach von den alten 
Perserkönigen stammend, erhob 226 gegen Artaban, von dem er den erwar¬ 
teten Lohn nicht erhalten, die Fahne der Empörung, siegte in drei Schlachteil 
und setzte sich, nachdem Artaban gefallen war und die übrigen Glieder seines Hau- 
ses sich unterworfen hatten, auf den Thron. Schon die große Schnelligkeit, 
mit welcher die Jahrhunderte bcstandne Dynastie gestürzt wurde, beweist deut¬ 
lich, daß ein tiefres ganze Schaaren ergreifendes Motiv, als bloße Unzufrie¬ 
denheit mit dem Herscher zu Grunde lag und daß dies die lebendige Erinnerung 
an die Vorzeit mit dem daher empfangnen Glauben war, lehrt unleugbar, was 
Ardschiir sofort vornahm. Er richtete nicht eine neue Verfassung ein: was in 
dieser Hinsicht geschah, ist fast nur ein Personen- und Stammes Wechsel, die 
dem Thron zunächststehenden wurden die Abkömmlinge der alten Perser. 
Aber erneuert ward der alte Cult, zwar nicht in jener Reinheit, wie ihn die 
Zendavesta lehrt, sondern in der veränderten Gestalt, wie er jetzt von den 
Magiern auf einer Versammlung in Baktra aus der Tradition festgestellt 
ward (Feuerdienst. Parsen), und in demselben suchte Ardschiir die Reichsein- 
1) Lamprid. 29.
	        
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