Full text: Die Zeit von Christi Geburt bis zum Regierungsantritt Karls des Großen (Bd. 2, Abth. 1)

166 Valentinianus I 364-375. Valens 364-378. Gratianus 367-383. 
begehrte aber sofort auch die Wahl eines Mitregenten. Fest diese längerer 
Erwägung vorbehalteud, ernannte er erst inConstantinopel seinenBr. Valens 
zum zweiten Augustus und teilte zu Naissus das Reich dergestalt, daß er 
Gallien (mit Hispanien und Britannien) und Italien (mit Afrika und Jlly- 
ricum) selbst, jener den Orient übernahm. Wärend nun Valens nach Antio¬ 
chien aufgebrochen war, gewann 365 Proco Pius, Julian's weitläufiger 
Verwandter, welcher, nachdem er Jovianus anerkannt und das Begräbnis 
des gebliebnen Kaisers besorgt, dem Argwohn zu entgehn sich in verschiednen 
Verstecken verborgen gehalten, die Unzufriedenheit über die habsüchtige Grau¬ 
samkeit von Valens' Schwiegervater Petronius benützend, in Constantinopel 
Truppen und ließ sich zum Augustus ausrufen. Indem er Constantius' Wittwe 
Faustina und deren kleine Tochter zu sich nahm und geschickt die Umstände be¬ 
nützte, war er bald im Stande nach Asien überzugehn und Valens Angriff 
zurückzutreiben. Als jedoch dieser das östliche Heer an sich gezogen hatte und 
feine eigne Unfähigkeit immer offenbarer wurde, sah er sich 366 von allen 
tüchtigen verlassen, ward an Valens ausgeliefert und hingerichtet. Mit unver¬ 
söhnlicher Strenge wurden seine Anhänger und Gehülfen verfolgt. In der 
Regierung des Reichs wurde nur noch die Veränderung getroffen, daß Valen- 
tinianus 367 als er, von einer schweren Krankheit genesen, die Notwendigkeit 
der Sorge für eine geordnete Nachfolge und die Schwere und Menge der auf 
ihm lastenden Geschäfte tiefer als je empfand, feinen noch sehr jungen Sohn 
Gratianus zum Mitregenten und zwar unmittelbar zum Augustus ernannte. 
Übrigens behauptete Valentinianus bei der Fügsamkeit seines Bruders die 
Oberleitung. 
3. Die Negierungszeit dieser Kaiser ist der letzte Sonnenblick für die 
dem Untergang geweihte römische Weltherschaft. Wol lassen die in ihr statt¬ 
findenden schweren und heißen Kämpfe einen umstürzenden Endausgang 
ahnen, aber derselbe scheint doch noch für längere Zeit abzuwehren und hinaus¬ 
zuschieben, als unvorausgesehnen Ursprungs, der Sturm hereinbricht, welcher 
alle VerhältnisseEuropa's umstoßen und neugestalten sollte. JmJnnern gibt sich 
freilich so deutlich, wie noch nie vorher, die Unrettbarkeit des Römergeschlechts 
zu erkennen. Wie selten tönt uns bei einer That ein altrömischer Name ent¬ 
gegen? Die Führer der Heere, die Ratgeber der Fürsten stammen aus unbe¬ 
kannten Provinzialengeschlechtern her, sind zum großen Teil geradezu in Sold 
getretne Barbaren. Die Vornehmen in den großen Städten, besonders in 
Rom, mit dem jedoch in dieser Hinsicht bald Constantinopel in die Schranken 
tritt, sind ein durch und durch faules, der nichtigsten Eitelkeit und Üppigkeit 
ergebnes , die Unterhaltung über die leersten und wertlosesten Dinge allein 
übendes und die Etikette über alles setzendes, dem Aberglauben und verbreche¬ 
rischer Magie ergebnes Geschlecht, und das Volk ein lungernder, arbeitsscheuer 
und doch von dünkelhaftestem Stolz erfüllter, leicht reizbarer und dann nur 
in dem feigen Entsetzen vor ernster Gewalt eine Schranke kennender Haufe H. 
Wer mag alle die Schändlichkeiten nacherzählen, welche in der Beamtenwelt 
und unter den Rechtskundigen im Schwange giengen ? Da galt nichts Recht 
und Redlichkeit, alles lenkte Eigennutz, Bosheit und Lust an andrer Verder¬ 
ben. Nur im Verstecken dieser Leidenschaften und im listigen Durchführen der 
niederträchtigen Anschläge suchte man Tugend und Ehre^). Äußerlich freilich 
1) Die Schildrungen bei Amin. XXVII 1. XXVIII 1 und 4. — 2) Amm. 
gibt die zahlreichsten Beispiele; so von Mariininus, Valentinians bösem Geiste 
(XXIX 3, 1 u. 2. Vgl. auch XXX 4).
	        
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