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Galba, Otho, Vitellins 68 und 69.
Vergeblich forderte die Treue der ihn umgebenden Soldaten Otho auf, den
Kampf nicht aufzugeben, vergeblich ward ihm die Meldung, daß die Vereini¬
gung mit den bereits bis Aquileia gelangten mösischen Legionen das Kriegs¬
glück wenden könne, er gab sich, nachdem er für die Seinen nach Kräften ge¬
sorgt, selbst den TodH im 37. Lebensjahre, nachdem er 95 Tage das Diadem
getragen.
4. Wärend der nach Mutina mitgegangne Senat in einiger Gefahr
schwebte, weil er, von Othonianern umgeben, Vitellins nicht sofort huldigen
konnte, herschte in der Hauptstadt selbst so große Sorglosigkeit, daß die Spiele
der Ceres gefeiert wurden; der Stadtpräfect Flavins Sabinus vereidete die
vorhandnen Truppen dem Vitellins und Volk und Senat wetteiferten sofort
mit Ehrenbezeugungen für diesen, obgleich die Ausschweifungen, welche die
zügellosen Soldaten allenthalben in Italien begiengen, ernste Sorge erregen
muflen^). A. Vitellins empfing noch in Gallien die Nachricht von dem
Siege, zu dessen Erkämpfnng er selbst nichts beigetragen hatte. Wir können
die Anordnungen übergehen, welche er zur Herstellung der Ruhe traf, nicht
aber, daß er schon auf der Reise sich als den erwies, dem der Bauch der Gott,
Wollust und Üppigkeit das Lebenselement waren, und daß je näher er Rom
kam, desto ähnlicher dem Hofstaate Nero's feine Umgebung wurdeWie ein
Heuschreckenschwarm verwüstete der Zug die Orte und Gegenden, wohin er
kam, und blutige Raufereien unter dem Geleite fielen dicht vor der Stadt
und auf deren Straßen vor. An die Stelle der entlassuen alten Prätorianer
traten die rohsten und ungeschlachtesten Soldaten aus dem Heere und dem
Pöbel (20000 M.). Die elendesten Menschen beherschten den Kaiser, welcher
den unter sich uneinigen Cäciua und Valens alle Regierungsforgen überließ.
Ehrenstellen und was nur gewünscht ward erhielt, wer Vitellins Gaumen am
besten zu kitzeln wüste, und obgleich der Staatsschatz leer war und den Sol¬
daten alle Zügellosigkeiten nachgesehen werden mußten, weil ihnen das Donativ
nicht bezahlt werden konnte, wurden in wenigen Monaten neunhundert Mil¬
lionen Sestertien (45 Mill. Thlr.) verschwendet^). Es war gut, daß er be¬
siegt und vom Throne gestürzt wurde, aber er ward es durch die Treulosigkeit
derer, welche Galba verraten hatten H. Unter den römischen Feldherrn erschien
keiner zur Gebieterschaft über das Reich und Herstellung der Ordnung und
Ruhe geigneter, als T. Flavins Vespasianus, welcher, nachdem er sich
1) Tue. h. II 46 — 51. Bei der Beurteilung von Otho's Selbstmord darf man
eben so wenig vergessen, daß er ein Römer und eilt Heide war, wie daß die Alten
und überhaupt alle vom jenseitigen Leben nichts wissende das freiwillige Scheiden
ans diesem, ihrem höchsten Gute, als die That eines bewundernswerten Mutes und
höchster Entsagung betrachten. Auch darf schwerlich bezweifelt werden, daß ihn wirk¬
lich die Absicht, die Schuld der Verlängerung des Blutvergießens nicht auf sich zu
laden und den Seinen die Versöhnung mit Vitellins zu erleichtern, zu der That
trieb. Allein es möchte doch nicht zu leugnen sein, daß ihm jene Energie, welche
das einmal nnternommne dnrchznführen weiß, so lange es möglich ist, mangelte,
daß ihm ferner eine klare Einsicht in Vitellins' Wesen und die Zustände Roms und
des Reiches abgieng, rnrd er demnach nicht erkannte, wie wenig er doch mit seinem
Tod einen wirklichen Nutzen erzielt. Ich kann daher meine Überzeugung nicht zurnck-
halten: Otho's Selbstmord erscheint mir als die That eines Theaterprinzen, der,
nachdem er nur sich selbst gelebt hat und nun Leiden und Gefahren bestehn soll,
lieber mit einer Rührscene von der Bühne scheidet. — 2) Tao. In II 52 — 56. —
3) Tac. In II 57 — 73, dessen Schilderung um so glaubwürdiger erscheint, als er
sich allen Anekdotenkrams enthält. — 4) Tac. In II '87—95. Einen ganz deutlichen
Beweis von der Sinnesart des Vitellins liefert die-Ermordung des Junius Bläsus
Tao. In III 38. 39. — 5) Tao. In III 86.