16 Die Erneuerung des römischen Kaisertums.
zu verwundern, daß nicht der byzantinische Kaiser in das Verhältnis zu dem
Westen als Erbschaft eintrat, wenn nicht ihm die Macht zu dauernder, später
sogar zu zeitweiliger Geltendmachung gefehlt und die Trennung der östlichen
Kirche von der römischen eine unausfüllbare Kluft gebildet hätte. In Rom
ward das Bedürfnis gefühlt, eine die Kirche liebend schützende höchste welt¬
liche Gewalt, wie das römische Kaisertum gewesen war, zur Seite zu haben.
Die Frankenkönige hatten ihr zwar ihren Arm geboten, hatten ihre Krone
durch päpstlichen Ausspruch und Salbung sich befestigen und bestätigen laßen,
aber ihrem eignen Reich standen sie nicht in der Hohheit des Kaisertums
gegenüber und auch für die Kirche blieb dies ein Besorgnis erregender Mangel.
Entschieden war, daß eine Erneuerung des römischen Kaisertums nur als
eine Übertragung desselben auf den Frankenkönig möglich sei, und Karl
der Große ergriff die Idee, weil eine fester begründete Gewalt ihm not¬
wendig schien.
3. Mögen auch die früheren Päpste und Hadrian I Wünsche in Betreff
völliger Unabhängigkeit des Stuhles Petri und des ihm geschenkten oder
zurückgegebneu Gebiets gehegt und die Nichterfüllung derselben schmerzlich
empfunden haben, die Klugheit gebot sich in das unvermeidliche zu fügen
und die Erreichung der Zwecke auf spätere Zeiten zu verschieben. Wir erfahren
nichts von Zerwürfnissen, vielmehr nur von einem herzlichen Einverständnis
zwischen Karl dem Großen und Hadrian. Als dieser Ende 795 gestorben war,
sandte sein Nachfolger Leo III sofort die Schlüssel von Petri Grab, die Fahne
der Stadt Rom und andere Geschenke und forderte die Absendung von Boten,
das römische Volk in Pflicht zu nehmen, wozu der Abt Angilbert deputirt
wurde. Reiche Geschenke aus der Awaren-Beute bewiesen die Achtung des
Königs vor der römischen Kirche. Allein der römische Adel war unzufrieden
mit der Stellung, welche der Papst, gestützt auf Karls des Großen Schutz,
der doch immer nur die Würde des Patricius bekleidete, ihm gegenüber ein-
uahm. Hauptsächlich Verwandte Hadrians IH bildeten eine Verschwörung,
überfielen 799 bei einer Processton Leo III und mishandelteu ihn so, daß er
mit Mühe dem Tode entkam. Herzog Winegis von Spoleto brachte ihn
aus der Stadt und sandte ihn auf Karls Gebot in ehrenvollstem Geleit
nach Paderborn. Hier ward verabredet, wozu beiderseitiges Bedürfnis
drängte. Im Herbst 800 führte Heeresmacht Leo III nach Rom zurück
uub setzte ihn in Amt und Recht wieder ein. Karl selbst folgte im Winter.
Als er am Weihnachtsfest1 2) kniend am Altar der Peterskirche betete,
setzte ihm Leo die Kaiserkrone aufs Haupt, das Volk rief: Wem vou
Gott gekrönten großen und friedfertigen Kaiser der Römer Karl Augustus
Leben und Sieg!' und der Papst huldigte ihm. Karl hielt Gericht über die
Rädelsführer, verwandelte aber auf Leo's Fürbitte die härteren Strafen in
Verbannung3).
1) Paschalis und Campulus. Gregorovius Gesch. der Stadt Rom I S. 522. —
2) Zugleich Ncnjahrstag 801. — 3) Gfrörer (s. Baurs Kircheugesch. d. Mitt. S. 77
Amu. 1) betrachtet den Aufstand als einen vom fränkischen Hof veranstalteten, um
den Papst zur Verleihung der Kaiserkrone zu zwingen. Baur a. a. O. findet es
tvenigstens auffallend, daß erst Leo UI, nicht schon Hadrian l den Wunsch Karls
des Großen erfüllt habe. Allein Karl erscheint reicht als vorr vornherein fertig.
Ideen sirrd irr ihm allmählich gereift. Der Papst mnste, einmal bedroht, das Bedürfnis
fühlen, einen festeren Schutz zu haben, als der wenigstens formell minder berechtigte
Patricius ihm gewähren konnte. Damals unerfüllt bleibende Ansprüche des römischen
Hofs sind gewis auch erst später zur Klarheit gekommen.