54 Die Frankenreiche bis guv dauernden Trennung 843—888.
Fürsten größere Unabhängigkeit hofften. Nach heftigem, fast zu Waffenkampf
führendem Streit ward die Teilung nach des Vaters Willen bestätigt ch. Das
Kaisertum, nun an den Besitz eines verhältnismäßig geringen und dennoch
am schwersten zu regierenden Neichsteils geknüpft, konnte natürlich gar nichts
nrehr zur Vermittlung der Reichseinheit wirken-). Es sinkt zu einem bloßen
Namen herab, obgleich seine Idee fortbesteht. Italien, äußerlich getrennt,
entwickelt bald nationales Bewustsein, und die burgundifchen Gaue erlangen
denselben Antrieb. Hat es sich endlich bereits herausgestellt, daß'der Ver¬
duner Vertrag von keinem der Fürsten mit ernst gemeintem Genügenlaßen
geschloßen war, was kann man jetzt anders erwarten, als daß Ludwigs des
Baiern und Karls des Kahlen Augenmerk fortan auf Erwerbung von Teilen
der lotharischen Erbschaft ^) gerichtet ist, zumal die Macht der Inhaber eine
verhältnismäßig geringe geworden?
§ 93.
1. Ludwig der Baier hatte nach dem vergeblichen Unternehmen
gegen das Westreich (§ 92, 5) ernste Beschäftigung an den Ostgrenzen.
Wärend Markgraf Ernst 855 die Böhmen durch Verwüstungen in ihrem
Lande festhielt, zog er selbst gegen Nastislav, der nach Gründung fester
monarchischer Gewalt über alle Mährer Unabhängigkeit erstrebte. An dessen
fester Burg scheiterte der Angriff und die Verwüstungen des deutschen Heers
wurden durch einen Einfall in die Ostmark vergolten. Einen günstigen Erfolg
hatte 856 der Feldzug durch das Land der Sorben bis in der Daleminzier
Gebiet, aber gegen Böhmen wog der Gewinn den Verlust nicht auf. Erst als
857 die Feste des Herzogs Wiftnach zerstört und ein getreuer Sohn desselben
eingesetzt worden war, erschien die Ruhe gegen diese Nachbarländer dauernder
gesichert und großeVorbereitungen wurden zu Rastislavs Bekriegung getroffen,
als eine n e u e U n t e r n e h m u n g g e g e n d a s W e st r e i ch sie rückgängig machte.
2. Um Pipin zu beseitigen erbot sich Karl d. K. 856 Aquitanien seinem
zweiten noch kleinen Sohn Karl als Unterkönigreich zu übertragen; allein
viele Aquitanier blieben trotzdem im Aufstand, verbanden sich sogar mit den
Normannen und 858 erreichte Pipin, daß ihm einige Grafschaften liub Klöster
überlaßen wurden ^). Nachdem 856 mit Erispoi durch die Vermälung des
zum König von Neustrien erhobnen ältesten Königssohnes Ludwig mit einer
Tochter jenes derFriede befestigt worden war, ward derselbe 857 wieder in Frage
gestellt, indem Erispoi von seinem Verwandten Salomo und einem Häupt¬
ling Alwar in der Kirche ermordet ward. Die Dänen, welche sich in der Loire
und Seine feste Stationen angelegt hatten, setzten ungestraft ihre Plünderungs¬
züge fort5). Trotzdem daß 854 das Unternehmen Ludwigs des jüng. mißglückt
1) Dümml. S. 380. — 2) Nach Drogo's Tod (8. Dec. 855) ernannte der
Papst keinen apostolischen Vicar. Die Idee kirchlicher Einheit der Reichsteile unter
sich war also aufgegeben, natürlich zu Förderung des Papsttums. — 3) Der für
Lothars l Reich vorkommende Name Lotharifrgia fixiert sich von jetzt ans die Lothar ll
zugefallnen Länder. — 4) Dümml. S. 401 f. Pipins Br. Karl erhielt nach Hrabans
Tod (4. Febr. 856) durch Ludwig den B. das Erzbistum Mainz. —• 5) 855 wurden
Erispoi und der dänische Seekömg Sidroe zur Vertreibung der Loiredänen in Sold
genommen., allein die Landsleute ließen sich durch Überlastung eines Teils von der
aufgehäuften Beute abfinden und neue Raubzüge (gegen die Bretoncn, dann 856
Orleans, 857 Tours, und die Umgegend bis nach Blois, 858 Chartres) ersetzten
schnell das anfgeopferte Gut. Sidroe war 855 nach der Seine geschifft imb hier
vereinigte sich eine Schaar unter Biörn mit ihm. Der Sieg, welchen Karl d. K.
im Wald la Perche davontrug, bewog den ersten: zun: Abzug, Biörn aber durch
neuen Zuzug verstärkt plünderte Paris ¿um zweitenmal ans und verschanzte sich auf