Die griechische Welt. 
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angeborene und durch die Umgebung genährte rege und tiefe Gefühl für Schönheit 
und das Bedürfniß, diesem Gefühle äußere Gestaltung zu geben, machte, daß die 
Kunst bei den Hellenen eine Bedeutung und Verbreitung erhielt und einen Höhe¬ 
punkt der Vollendung erlangte, wie vorher und nachher die Geschichte nie wieder 
etwas Aehnliches aufzuweisen hat. Die Kunst war in Griechenland mit dem 
ganzen Volksthum verwachsen; sie bildete einen Bestandtheil ihres öffentlichen 
Lebens; Kunstsinn war eine allen Klaffen gemeinsame Gabe. „Die Griechen 
sind nur deshalb dies wunderbar geniale Künstlervolk geworden, weil bei ihnen die 
Kunst nicht etwas blos Vereinzeltes, nicht Eine Geistesrichtung neben anderen, 
gleichberechtigten Richtungen ist, sondern weil ihr ganzes Leben selbst, Religion, 
Sitte, Staat, Gefühls- und Denkweise durch und durch künstlerisch, weil, um es 
kurz zu sagen, das Wesen des Griechenthums und das Wesen der Kunst in ihrer 
innersten Wurzel schlechterdings ein und daffelbe sind." — Bei der griechischen 
Baukunst herrschte vorzugsweise Eben ma ß (Symmetrie) und Uebereinstim- 
mung aller Theile (Harmonie), so daß jedes Bauwerk ein schönes Ganze 
mit organischer Gliederung bildet. Ein Hauplbestandtheil der griechischen 
öffentlichen Gebäude sind die Säulen, deren es drei, besonders durch ihre Ka¬ 
pitale unterschiedene Ordnungen gibt: die kräftige, schmucklose d o r i sch e, die 
schlanke i o n i sch e mit gelocktem Kapitäl voll Schönheit und Grazie, und die 
reichverzierte ko rinth isch e. Sie wurden hauptsächlich bei den Eingängen der 
Tempel und bei Säulenhallen (Stoa's, Porticus, Colonnaden) angebracht. Um 
den Tenrpel, „das goldreiche, fernstrahlende Haus" des Gottes, liefen Säulen¬ 
gänge, und vorn befand sich die Vorhalle, um „die enge Wohnung des Gottes 
mit der glückerfüllten Außenwelt zu verbinden." „Freudig in ihrer Kraftfülle", 
elastisch lebendig streben diese Säulen empor, den Kern des Gotteshauses umge¬ 
bend. Die berühmtesten Tempel waren der Pallastempel, Parthenon, in Athen; 
die Zeus-Tempel in Olympia und Agrigent (Sicilien); der Hera-Tempel zu 
Argos; der Apollon - Tempel zu Phigalia (Arkadien); der Demeter-Tempel in 
Eleusis u. a. m. Da die Privatwohnungen der Alten klein und unscheinbar wa¬ 
ren, so konnte sich ihre architektonische Kunst nur in öffentlichen Bauwerken zeigen. 
Dazu gehörten außer den Tempeln besonders die Theater (§. 88.), Rath¬ 
häuser, Denkmale (Monumente) u. a. m.; unter diesen letzter» ist besonders 
das Grabmal des karischen Vasallen-Königs Mausölos in Halikarnaß (Mau¬ 
soleum) berühmt geworden (§. 106). —Die Bildhauerkunst wurde von 
den Griechen zur höchsten Vollendung geführt, so daß die aus dem Alterthume 
uns erhaltenen Meisterwerke noch jetzt als unerreichte Muster der Schönheit da¬ 
stehen. Neben Pheidias (§. 87.), dem großen Schöpfer der Zeus - und Pal¬ 
lasstatuen, waren noch Polyklct aus Argos und Myron aus Attika, die mit 
ihm in der Künstlerwerkstätte des Ageladas in Argos sich gebildet hatten, die 
Zierden der perikleischen Zeit; in der folgenden Periode zeichneten sich besonders 
aus: S kop as von Paros (dem Einige die G r up p e der Niob i den in Flo¬ 
renz zuschreiben), Praxiteles aus Athen (Statuen der Aphrodite), Lysippos 
von Sikyon. Da man in Griechenland einen berühmten oder verdienten Mann 
nicht bester ehren konnte als durch Errichtung einer Bildsäule (Statue) oder 
durch Aufstellung seiner Büste oder Herme, so fanden die Künstler allenthal¬ 
ben Beschäftigung und Aufmunterung. Setzte doch jede Stadt eine Ehre darein, 
viele Bildsäulen auf ihren Straßen und freien Plätzen zu besitzen. Der schöne, 
durch keine häßliche Kleidertracht oder Mode entstellte Körperbau der Griechen 
und das durch die gymnastischen Uebungen in den Palästren erleichterte Studium 
nackter Körper in den verschiedensten Stellungen begünstigten die Ausbildung der 
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