Vorherrschaft des deutsch-römischen Kaiserthums. 439 
meistens eine kirchliche oder religiöse Färbung und nach den römischen Vorbildern 
ein rhetorisches Gewand. Die Philosophie wurde, wie im Morgenlande, 
auf die christlichen Glaubenssatzungen angewendet, woraus jene kirchliche Litera¬ 
tur hervorging, die man Scholastik nennt und die ihre Entstehung und Aus¬ 
bildung hauptsächlich in Frankreich (Normandie) und England nahm. 
b. Geschichtschreibung. Nealwissenschaften. Kunst. Die 
Geschichtschreibung wurde lediglich von Geistlichen geübt und stand im 
Dienste der christlichen Religion, deren Gründung und Verherrlichung der Haupt¬ 
zweck der mittelalterlichen Annalen und Chroniken war. Die Künste, 
namentlich Baukunst, Malerei, Stein- und Bildhauerkunst, Holz- und Stein¬ 
schneiderei, Musik, dienten zur Verschönerung der Kirchen und zur Erhöhung des 
Gottesdienstes und waren im Besitze der Geistlichen. Der Mönch Guido von 
Arezzo, der bei den Arabern in Spanien die Fortschritte der Musik kennen ge¬ 
lernt, führte das sogenannte Solsiren und das Notensystem mit Punkten und 
Linien in Deutschland ein. Auch die realen Wissenschaften, Mathematik, 
Naturkunde, Mechanik und die damit zusammenhängenden technischen und ge¬ 
werblichen Fertigkeiten waren in den Händen der Geistlichen. Die gewöhnlichen 
Unterrichtsgegenstände an den bischöflichen und Klosterschulen waren die sogenann¬ 
ten sieben freien Künste oder das Trivium und Quadrivium (§. 245). 
Die Geschichtschreibung befand sich gänzlich in den Händen der Geistlichkeit, 
daher auch die kirchlichen Ereigniffe in den Vordergrund traten und Lob und Tadel nach 
der Stellung vertheilt war, die die Fürsten zur Kirche einnahmen. Diese geistlichen Ge- 
schichtbücher sind nur Annalen (Jahrbücher) oder C hr o niken , Zusammenstellungen 
wahrer und erdichteter Begebenheiten ohne Kritik und Urtheil. Die historischen Schriften 
des alten Testaments und die römischen Geschichtschreiber der spätern Kaiserzeit dienten 
als Vorbilder. Das nach Cassiodorus bearbeitete Werk des Gothen Jornandes 
(I o r d a n e s): Von der Gothen Ursprung und T h a t e n , ist wie die Geschichte 
derLangobarden von Paulus Diaconus eine rhetorisch und poetisch ausgcschmückte 
Denkschrift zur Verherrlichung dieser germanischen Völkerstämme mit Benutzung einhei¬ 
mischer Volkssagen und Heldenlieder (§§. 245. 270). — In Spanien bearbeitete Isidor 
Pacensis (aus Beja) die Geschichte seines Vaterlandes von 610—754 während der Be¬ 
gründung der Maurenherrschaft, trotz des verderbten lateinischen Styls eine wichtige 
Quelle der spanischen Urgeschichte. Ein anderer Isidor, von Sevilla, hat ein Men¬ 
schenalter früher Auszüge aus den Kirchenvätern (§. 235.), eine Chronik der Wcstgothen 
und eine aus 20 Büchern bestehende Encyclopädie des Wissens seiner Zeit verfaßt. •— In 
England, wohin römische Geistliche die Cultur des Südens verpflanzten, hat etwa ein 
Jahrhundert vor A l cu in (tz. 275.) und zwei Jahrhunderte vor Al fr e d (Z. 285.) der Mönch 
Beda der Ehrwürdige (Ven erabilis) -j- 735 , eine Reihe von Schriften über die 
meisten zu seiner Zeit bekannten Wissenschaften verfaßt und in seiner G es ch i ch t e E n g- 
la n d s, besonders in Beziehung auf die Begründung der christlichen Religion und die Aus¬ 
bildung der Kirche, ein schätzbares Werk der Nachwelt hintcrlassen. „Er gibt uns in der 
Geschichte der Einführung des Christenlhums die Geschichte der Civilisation seiner Lands¬ 
leute."— Die älteste Geschichte der Franken fand einen naiven und treuherzigen 
Bearbeiter an Gregor von Tours. Der Zweck seines in zweiTheile, Glorie der Mär¬ 
tyr er und Kirch c n gesch i ch te zerfallenden Werkes, das, wie die meisten Annalen des 
Mittelalters, mit der Schöpfung der Welt beginnt, dann aber die fränkische Geschichte bis 
zu Ende des 6. Jahrhunderts darstellt, ist Erbauung und Einschärfung christlicher Grund¬ 
sätze. Bei Schilderung der Gräuelthaten und Büßungen der fränkischen Könige ist seine 
Sprache auö den biblischen Büchern der Könige und Richter genommen; bei der Darstellung
	        
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