Rußland unter Katharina II. und Polens Theilung. 327 
nutz, nicht Nächstenliebe, die Triebfeder ihrer Beschützerin gewesen. Im April 
erklärten Preußen und Rußland, daß man sich genöthigt sehe, Polen in 
engere Grenzen einzuschließen, um den Freiheitsschwindel, der von Frankreich 
aus in die Republik eingedrungen, zu ersticken und die Nachbarstaaten vor 
jeder Ansteckung des demokratischen Iakobinismus zu bewahren. Umsonst 
widersetzte sich der in Grodno versammelte Reichstag dem neuen Theilungs- 
vertrag. Russische Truppen umstellten das Sitzungshaus und erzwangen 
zuerst die Abtretung der von Katharina begehrten Landschaften (Litthauen, 
Kleinpolen, den Rest von Wolhynien, Podolien, Ukraine, über 4000 Qua¬ 
dratmeilen mit mehr als drei Millionen Einwohnern). Hartnäckiger wider¬ 
standen die Landboten der preußischen Forderung; als aber die kühnsten 
Sprecher von den russischen Soldaten, die den Versammlungssaal von Außen 
und Innen umstellt hatten, verhaftet und weggeführt worden, wagten die 
Uebrigen nicht mehr, ihren Widerstand laut werden zu lassen. Ihr Still¬ 
schweigen wurde als Einwilligung gedeutet und der Vertrag vollzogen. 
Dadurch erhielt Preußen Großpolen nebst Danzig und Thorn, 1000 O.ua- 
dratmeilen mit mehr als einer Million Bewohner, Rußland Podolien und die 
Ukraine nebst der Hälfte von Litthauen und Wolhynien, 4553 Q..-Meilen mit 
3 Millionen Bewohner. Der Republik Polen blieb kaum mehr ein Drittel ihres ehemaligen 
Gebiets. Die Auftritte in Grodno glichen an Brutalität und Gcwaltthätigkeit den gleich¬ 
zeitigen Schrcckensmaßrtgeln der französischen Demokraten. Mit höhnender Sophistik 
hatte der preußische Gesandte erklärt, sein König habe mit der Republik Polen einen 
Bund geschlossen; da diese aber in eine constitutionelle Erbmonarchie umgewan¬ 
delt worden, so sei er seiner Verpflichtung enthoben. 
Um dem noch übrigen Polenreich und seinem ohnmächtigen König den 
letzten Rest von Selbständigkeit zu rauben, wurde der immerwährende 
Rath wiederhergestellt und ein neuer Bundesvertrag mit Rußland 
abgeschlossen, vermöge dessen die Polen ohne Erlaubniß der Kaiserin keine 
Veränderung in der Verfassung vornehmen und mit keiner fremden Macht 
ein Bündniß eingehen durften, indeß die russischen Truppen das Recht haben 
sollten, zu jeder Zeit in das Königreich einzurücken. 
tz. 701. Polens Ende. Im Vertrauen auf die verschiedenen Heer¬ 
abtheilungen der Russen und Preußen, die selbst nach Abschluß des Vertrags 
das Land nicht räumten, gebot Katharinas Gesandter, der barsche und über- 
müthige Igelström, mit despotischem Trotze in Warschau. Da erwachte 
noch einmal der polnische Nationalgeist. Es bildete sich eine geheime, durch 
das ganze Land verzweigte Verschwörung. Die ausgewanderten Patrioten, 
vor allen Kosciuszko, kehrten zurück und stellten sich an die Spitze der 
Bewegung. Igelströms Befehl, die polnischen Heere aufzulösen, gab das 
Signal zum Aufstand, dessen Mittelpunkt Krakau war. Kosciuszko, zum 
unumschränkten Befehlshaber der Nationalmacht ernannt, erließ von Krakau 
aus einen Aufruf an das Volk, in welchem er die Wiederherstellung der Frei¬ 
heit und Unabhängigkeit des Landes, die Wiedereroberung der entrissenen 
1793. 
Septbr. 
1793.
	        
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