XVI, §. 7. Erneuerte Gefahr von außen und innen. 263
machte sich selbst zu dessen Oberpriester und suchte es durch Schulen
bis in die geringsten Schichten des Volks zu verbreiten. Um die
Weissagung über Jerusalem Lügen zu strafen, unternahm er den Wie¬
deraufbau des Tempels daselbst und kündigte öffentlich seine Absicht
an, den Galiläer (so nannte er unfern Herrn Jesus Christus) doch
noch zu überwinden. Aber als Feuer aus der Erde brach und die
Werkstücke sammt den Arbeitern auf dem Tempelberge zerstörte, als
der Speer ihm in die Seite fuhr, der ihm im Kampf mit den Per¬
sern den Tod brachte, da erkannte er mit ingrimmiger Seele die Ob¬
macht des Galiläers; denn mit seinem Tode (363) war auch sein
Werk vernichtet.
Mit erneutem Eifer wandten die Hirten und Häupter der christ¬
lichen Gemeinden, nachdem die Wetterwolke vorübergezogen war, sich
wieder zu der Aufgabe, welche der Herr vorzugsweise jenen Jahrhun¬
derten, jenen aus griechischer und römischer Bildung herkommenden
Geistlichen und Bischöfen gestellt hatte. Das war nämlich die sorgfäl¬
tige und bis in's Einzelste gehende Ausbildung des kirchlichen Lehrbe¬
griffs, besonders der drei großen Hauptpunkte: von der Dreieinigkeit,
von der Natur und Person Christi, und von den großen Gegensätzen
Sünde und Gnade. Unter vielen 'Kämpfen, leider auch unter Ein¬
mischung vieler fleischlicher Leidenschaften und Rohheiten, wurden
durch die allgemeinen Concilien, mehr noch durch die einzelnen
hervorragenden Geister damaliger Zeiten, wirklich diejenigen Lehr¬
bestimmungen ausgefunden und sestgestellt, welche bis zur Refor¬
mation , ja zum größern Theil bis auf den heutigen Tag für
alle kirchlichen Bekenntnisse die gemeinsame und unausweichliche Lehr-
norm gebildet haben. Unter den ausgezeichneten Männern, welche
unter der Leitung des heiligen Geistes solch großes Werk zu Stande
brachten, stehen oben an Athanasius, Basilius, Gregor d. ä. u. j.,
Hieronymus, Chrysostomus für den Orient; Augustinus,
Ambrosius und Leo für den Occident. Sie sind die großen Kir¬
chenlehrer, welche mit Fug und Recht als Kirchenväter gepriesen wer¬
den. Denn wenigstens bis zur Reformationszeit ging die gesammte
Kirche einträchtig in den von ihnen vorgezeichneten Wegen, und im
Verlauf von fast einem Jahrtausend ward kaum ein Versuch gemacht,
etwas Neues oder gar jenen Kirchenvätern Widersprechendes in der Kirche
zu lehren. — Nicht minder eifrig baute die damalige Zeit an Feststel¬
lung der gesammten Formen kirchlicher Einrichtung und Sitte.
Die kirchlichen Feste und Festzeiten, die Einrichtung und Ausstattung
der Kirchen, die Form des Gottesdienstes, die äußeren Werke
und Kennzeichen christlicher Frömmigkeit, als Fasten, Wallfahrten,
Psalmensingen, Sonntagsheiligung, Gebetszeiten, Bilderausstellung,
Kreuzschlagen, Kniebeugen, Kindtaufe, kirchliche Trauungen und Be¬
gräbnisse, ja selbst die schweren Bußzeichen, Selbstkasteiungen, Einsied¬
lerleben, Klostergelübde wurden bereits damals allgemein. So sehr auch die