Full text: Leitfaden der Weltgeschichte für die höheren Classen evangelischer Gymnasien und Realschulen, sowie zum Privatgebrauch für Lehrer und für Gebildete überhaupt

280 XVII. §. 8. Die Westgothen in Rom und im südlichen Frankreich. 
Senat bestand bis zu Theodosius' Zeit aus Heiden. Wer irgend 
Anspruch machte auf altrömische Abkunst, würde sich geschämt haben, 
sich zum christlichen Glauben zu bekennen. Ja, anstatt abzunehmen, 
schien das Heidenthu-m gerade zu der Zeit des Theodosius und sei¬ 
ner Nachfolger wieder einen neuen Aufschwung zu gewinnen, und 
kühnlich konnten die Heidenden Christen entgegentreten mit der Frage: 
was sie denn Besseres hätten? Denn leider der heidnische Sinn und 
heidnische Sitte war bereits tief in die christliche Kirche eingedrungen. 
Wie heidnisch muß es damals in den Gemeinden hergegangen sein, 
wenn durch besondere Verordnungen der Gesang heidnischer Lieder in 
den Kirchen, das Mitmachen heidnischer Aufzüge und Feste an Stelle 
kirchlicher Festfeier ausdrücklich untersagt werden mußte! Da verkün¬ 
digten die Wächter, die auf der Warte standen, die alsbald nun un¬ 
abwendbar hereinbrechenden göttlichen Strafgerichte. Manche wollten 
schon den herannahenden Untergang der Welt aus den drohenden 
Weltereignissen erkennen. Und wahrlich, fast sah es darnach aus. 
Krieg, Mord und Verheerung erfüllte die römischen Länder von einem 
Ende bis zum andern. Alles Bestehende schien zusammenzustürzen. 
Aus Britannien, welches seit Claudius' und Domitian's Zeiten den 
Römern unterworfen war, aus Gallien und von der Rheingrenze hatte 
Stilicv, um dem Gothenköng entgegentreten zu können, alle römischen 
Besatzungen zurückgezogen. Darüber waren jene Länder fast gänzlich 
eine Beute der Barbaren geworden. In Britannien warfen sich glück¬ 
liche Kriegsführer zu Imperatoren auf und drangen nach Gallien ein. 
Der Rheinstrom wurde von Franken, Alemannen und Burgun¬ 
dern ohne Widerstand überschritten und ganz Gallien füllte sich mit 
fremden Völkerstämmen. An der Spitze eines ungeheuren Schwarms von 
Gothen-, Vandalen- und -Suevenresten aller Art, die mit Weib 
und Kindern aus den östlichen Donaugegenden daherzogen, brach Ra- 
dagais, ein edler Gothe, durch die Alpen in Italien ein. Zwar 
wurde er dort durch die Kriegskunst des Stilieo in engen Pässen 
eingeschlossen und ein großer' Theil des Volkes niedergehauen. Aber 
die Reste dieser Schwärme brachen nun aus Italien zurückkehrend und 
mit anderen Völkern verstärkt über den Oberrhein ebenfalls nach Gal¬ 
lien hinein (407) und vermehrten die dort schon herrschende furchtbare 
Verwirrung. Gleich Heuschreckenschwärmen verwüsteten sie das Land, 
bis sie nach etlichen Jahren veranlaßt wurden, über die Pyrenäen nach 
Spanien zu ziehen und dort für einige Jahrzehende ihren Wohnsitz 
aufzuschlagen. Und nach allen diesen schrecklichen Kriegeswirren stand 
noch das Schrecklichste bevor: Alarich's Eroberung Italiens und 
Plünderung Rom's. 
§. 8. Die Westgothen in Rom und im südlichen 
Frankreich. 
Achthundert Jahre waren verflossen, seit Rom keinen fremden 
Feind vor seinen Thoren, geschweige in seinen Mauern gesehen hatte. 
Christus der Herr war inzwischen eingezogen und hatte Rom zum
	        
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