Full text: Leitfaden der Weltgeschichte für die höheren Classen evangelischer Gymnasien und Realschulen, sowie zum Privatgebrauch für Lehrer und für Gebildete überhaupt

562 XXV. §. 2. Die Revolutionen in England und der Deismus. 
Franzosen ihre Schliche abgelauscht hatte, eine Politik ohne Treue und 
Glauben, wo man heute Bündniß schließt und morgen dem Verbünde¬ 
ten Krieg ankündigt, wo man heute sich auf Leben und Tod bekämpft 
und morgen mit dem Gegner in das engste Einvernehmen tritt, wo 
man immerfort nach allen Seiten verspricht, sich deckt, Unterhandlungen 
anknüpft, zu überlisten sucht, um nur für sich selbst den höchsten Vor¬ 
theil zu erzielen. Nicht ihm, dem Kurfürsten, darf solche Handels¬ 
weise zur Last gelegt werden, sie war die nothwendige Weiterentwick¬ 
lung der neu eingeschlagenen Richtung in der Staatskunst. In Frank¬ 
reich war diese Staatskunst geboren, die irreligiöse, die unkirchliche, die 
unsittliche, die despotische. Aber in dem katholischen Frankreich trat 
der Staat augenscheinlich an Stelle der Kirche, in dem protestanti¬ 
schen Norddeutschland war die Kirchengewalt beseitigt, und es mußte 
also die Regierung auch hier als ein Ersatz einzutreten suchen. Hat 
sie darin fehlgegriffen, so ist es nicht ihr besonderer, sondern ein allge¬ 
meiner Jrrthum. Denn noch heute werden ja Fabrik, Industrie und ge¬ 
werbliche Anlagen aller Art für die Summe aller Volksbeglückung ge¬ 
halten, ohne daß Proletariat, Pauperismus, Unglaube und Unstttlich- 
keit eines Bessern belehren. Das Wort der Wahrheit hat auch über 
die mercantile und industrielle Richtung der Letztzeit bereits das Ur- 
theil gesprochen. (Offb. 18.) 
§.2. Die Revolutionen in England und der Deismus. 
Was in Frankreich, was in Brandenburg-Preußen größtentheils 
erst durch die Hebel der Staatskunst in's Leben gerufen wurde, die 
gewerblichen Unternehmungen, der Handelsverkehr, die fremden Co- 
lonieen und die Schifffahrt, das lag den Engländern vielmehr im 
Blut, es war der ihnen eingeborene Trieb, der schon von der Ne¬ 
gierung H einrich's VIII. und der Elisabeth vielfache Pflege und 
Förderung empfangen hatte. Aber in England hat die Regierung 
nie ein solches Uebergewicht gehabt (schon die unbedeutende Persön¬ 
lichkeit der meisten Könige verhinderte es), hat nie so bestimmend und 
zwingend in die äußere und innere Entwicklung des Volks eingegrif¬ 
fen; deshalb hat sich dort der Uebergang in die neue Zeit, in die ver¬ 
änderte Sinnesrichtung und Thätigkeit viel langsamer vollzogen, ist 
auch jetzt noch nicht ganz vollendet. Es kam noch hinzu, daß in Eng¬ 
land am längsten jene Kämpfe zwischen Katholicismus und Protestan¬ 
tismus nachzitterten, daß der Abschluß der alten und das Hervortre¬ 
ten der neuen Interessen nicht so jäh und unvermittelt auf einander 
folgen konnte. Den Anlaß zu den Nachwehen der Religionskämpfe 
gaben einerseits die schon erwähnten katholischen Hinneigungen der Fa¬ 
milie Stuart selber, andererseits die Heirath des Königs Karl I. mit 
einer katholischen Prinzessin aus Frankreich und der dadurch erneuerte
	        
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