Full text: Leitfaden der Weltgeschichte für die höheren Classen evangelischer Gymnasien und Realschulen, sowie zum Privatgebrauch für Lehrer und für Gebildete überhaupt

572 XXV. §. 4. Deutschlands Elend und die Anfänge des Rationalismus. 
Es ist nie wieder in seiner allen Bedentung und Herrlichkeit erstan¬ 
den und wird nie wieder erstehen. Aber ob auch zu politischer Ohn¬ 
macht heruntergedrückt, bleibt dem Deutschen dennoch die alte heilige 
Aufgabe, in gläubiger Forschung die geheimnißvollen Tiefen der gött¬ 
lichen Offenbarung zu ermessen, die Lehre zu überwachen und das 
heilige Feuer auf dem Altar der deutschen Herzen zu nähren, bis — 
die Herrlichkeit des Herrn erscheinen und mit der Wiederaufrichtung 
seines Reichs auch dem Deutschen eine neue Stellung in der Chri¬ 
stenheit zu Theil werden wird. Vorläufig aber hat Deutschland seine 
christliche Wirksamkeit nach außen hin an England abtreten oder 
doch sich an England anlehnen müssen, wo es eine Missionsthätig- 
keit entwickeln wollte. Seine politische Bedeutung aber erbten 
die beiden aus deutschem Saft und Blut herausgeborenen Mächte: 
Oe streich und Preußen. Denn wie Deutschland durch den Reli¬ 
gionskrieg in zwei Theile zerrissen war, so konnte seine Erbschaft auch 
nur an zwei Hauptstaaten übergehen, an welche sich die kleineren Für¬ 
sten anschließen: das katholische Oestreich und das protestanti¬ 
sche Preußen. Eben jetzt hatte das souveraine Herzogthum Preußen 
dem Kurfürsten Friedrich von Brandenburg (Sohn Friedrich Wil- 
helm'ö des Großen) Gelegenheit gegeben, den Königstitel anzuneh¬ 
men (1701) und damit einen weitern bedeutenden Schritt zu thun 
auf der Bahn zu einer ehrfurchtgebietenden europäischen Weltstellung. 
Und so entsteht denn vor unseren Augen ein ganz neues Europa. 
Der Süden, sowohl die katholischen als die osmanischen Länder, treten 
zurück, verlieren ihre politische Bedeutung und verzehren sich in un¬ 
aufhörlichen Revolutionen. Auch der protestantische Norden, der 
durch Gustav Adolf'S Auftreten in Deutschland einen Augenblick 
die Entscheidung der europäischen Geschicke in Händen hatte, verfällt 
jetzt, nachdem der Bestand des Protestantismus gesichert ist, wieder 
in seine frühere Unbedeutendheit. Nur wie das letzte Ausflackern einer 
erlöschenden Flamme erscheinen die Kriegsthaten Karl's X. (1654 
■—60) und Karl's XII. (1697—1718). England fängt an, nach 
langen Vorbereitungen und inneren Kämpfen die Aufgabe zu erkennen, 
die ihm vom Herrn gestellt ist, und beginnt sein protestantisches Co- 
lonisationswerk in Nord-Amerika, wie in Ostindien. An des zerrisse¬ 
nen Deutschlands Stelle erscheinen zwei selbständige Staaten, Oestreich 
und Preußen, die noch einige Zeit nöthig haben, um sich auöcinander- 
zusetzen, aber doch schon beginnen, den deutschen Namen wieder zu 
Ehren zu bringen. Der Schwerpunkt der gesammten neuen Staa¬ 
tenbildung aber liegt in Frankreich, dem geschäftigen Brütofen aller
	        
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