IV. Aus der weiten Welt.
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97. Oie Schlacht bei Marathon.
Am ersten September des Jahres 490 vor Christus kam die Kunde nach
Athen, dass die Perser, mit einem grossen Heere von Euböa kommend,
bei Marathon das Festland Griechenlands betreten hätten. Nicht ohne
schwere Sorge vernahmen die Athener die bedrohliche Nachricht. Im
Kriegsrat, in dem die besten Männer vereinigt waren, wurde beschlossen,
einen Schnellläufer nach Sparta zu senden. Der Bote erhielt folgenden
Auftrag: die Athener bäten die Lacedämonier, ihnen zu Hülfe zu kommen
und nicht zuzugeben, dass die älteste Stadt der Hellenen in die Knecht¬
schaft der Barbaren falle. Am fünften Tage nach seiner Absendung kam
der Bote zurück. Er hatte den Weg von Athen nach Sparta — es sind
29 Meilen — in zwei Tagen zurückgelegt und berichtete, die Spartaner
hätten zwar Hülfe verheifsen, aber zugleich erklärt, dass ihre Truppen
nach dem Brauche Spartas erst nach dem Vollmond ausrücken könnten.
Das war eine entmutigende Botschaft.
Zehn Feldherren bildeten den Kriegsrat; der feurigste und über¬
legenste unter ihnen war Miltiades. Dieser war der Meinung, dass
man keine Stunde länger zögern dürfe, wenn man überhaupt noch Frei¬
heit zum Handeln haben wolle. Der Kriegsrat könne seine Entschlüsse
nicht länger von Sparta abhängig machen; auf der Stelle müsse er ent¬
scheiden, ob man die Mauern der Stadt verteidigen, ob man den Weg
von Marathon nach Athen verlegen oder dem Feinde im offenen Felde
begegnen wolle. Ihm schien nur eine dieser drei Möglichkeiten annehm¬
bar zu sein: die ungerüsteten Bürger samt den Greisen zur Verteidigung
der Stadt zurückzulassen, mit allen tüchtigen Streitern auszurücken und
so rasch als möglich zu schlagen.
Diese Ansicht machte Miltiades sogleich nach der Rückkehr des
Boten geltend. Seine Meinung wurde von angesehenen Männern des
Kriegsrats geteilt. Andere rieten zur höchsten Besonnenheit und Vorsicht,
denn noch habe keine griechische Schlachtlinie den Persern gestanden.
Die Stimmen der Anführer standen fünf gegen fünf. Die Stimme des
Vorsitzenden musste entscheiden. Miltiades nahm ihn beiseite und sagte
zu ihm: „Bei dir liegt es, Athen in Knechtschaft zu bringen oder frei zu
erhalten und dir ein Denkmal für alle Zukunft zu stiften. Solange Athen
steht, schwebte es niemals in grösserer Gefahr. Wenn wir nicht schlagen,
so wird Zwiespalt in die Gemüter der Athener kommen, und einige
werden sich den Persern zuneigen. Schlagen wir sogleich, so werden
wir mit der Götter Hülfe im 'Stande sein, die Oberhand zu gewinnen.
Das steht nun bei dir. Trittst du meiner Meinung bei, so wird unsere
Vaterstadt frei und die erste in Hellas sein; stimmst du mit den andern,
so rennen wir ins Verderben.“ Der Vorsitzende stimmte für Miltiades:
der Auszug nach Marathon war beschlossen.